"Religiöse Pluralität im öffentlichen Rundfunk: Programme, Perspektive und Public Value in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien" (AT)

Projektverantwortlicher: Dr. Tim Karis


Die Diskussion um die mögliche Einrichtung eines religiösen Sendeformats speziell für Muslime (‚Das Wort zum Freitag’) sowie die im Juli 2013 erfolgte Novellierung des SWR-Gesetzes, durch die erstmals ein muslimischer Vertreter in einem Rundfunkrat vertreten ist, zeugen davon, dass der öffentliche Rundfunk beginnt, auf die religiöse Pluralisierung zu reagieren. Er folgt damit seinem gesetzlichen Auftrag, gesellschaftliche Pluralität auf programmlicher, redaktioneller und auch administrativer Ebene zu berücksichtigen. Doch zum Auftrag des öffentlichen Rundfunks gehört es zugleich, soziale Einheit zu stiften, die Kultur einer Gesellschaft und ihre nationale Identität zu schützen sowie den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern. Zwischen diesen beiden Komponenten des Rundfunkauftrags – Pluralität und Einheit – besteht ein Spannungsfeld.

Im Zentrum des Forschungsprojekts steht die Frage, wie der öffentliche Rundfunk vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes mit der religiösen Pluralisierung umgeht und wie er im Zuge dessen religiöse Pluralität für sich definiert: Welche religiösen Phänomene gelten als relevant für den öffentlichen Pluralitätsauftrag der Sender, welche hingegen nicht? Konzentriert sich die Wahrnehmung beispielsweise auf solche Religionsgemeinschaften, die durch Migrationsprozesse hinzugekommen sind oder erstreckt sie sich auch auf Phänomene wie Patchwork-Religiosität? Welche Vorstellungen von gesellschaftlicher Einheit sprechen aus diesem Verständnis der religiösen Pluralität? Inwieweit spiegeln sich darin etwa Vorstellungen von einer christlichen, säkularen oder auch pluralistischen Identität der Gesellschaft?

Mit diesen Forschungsfragen wird die religionssoziologische Debatte um die Frage aufgegriffen, in welcher Weise säkulare, christliche und pluralistische Identitäten in europäischen Gesellschaften in komplexer Weise verschränkt sind. Der öffentliche Rundfunk ist ein gesellschaftlicher Bereich, in dem sich Identitätsfragen in besonderer Weise verdichten und für die Forschung beobachtbar werden, der jedoch von der Religionssoziologie bislang noch kaum erschlossen worden ist. Zugleich schließt die Fragestellung des Projekts an eine kommunikationswissenschaftliche Debatte an, in der es um die Krise des öffentlichen Rundfunks und mögliche Auswege daraus geht. Anhand einer Beschäftigung mit der Frage des Umgangs des öffentlichen Rundfunks mit der religiösen Pluralität lässt sich exemplarisch zeigen, welches Selbstverständnis öffentliche Rundfunkanbieter im Spannungsfeld von Pluralitäts- und Einheitsauftrag entwickeln und was sie in diesem Zusammenhang als ihren ‚Public Value’ betrachten.

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