(D2-2) Lokale Märtyrer des „Dritten Reiches“. Begräbnis und Verehrung „Alter Kämpfer“ in Westfalen und von Juliputschisten in Oberösterreich
Es ist ein zentrales Ergebnis der neueren Forschung, Inszenierungen und Führerkult des Nationalsozialismus nicht als pseudoreligiös abzutun, sondern religionssoziologisch zu interpretieren: Manichäisches Weltbild, messianische Erwartungen sowie Rituale und Symbole, etwa Totenehrung, Parteitagsliturgie und „Blutfahne“, werden als Argumente genannt. In diesem Zusammenhang wird auch auf die „Märtyrer“ der NSDAP hingewiesen, welche entweder in den Auseinandersetzungen mit den Kommunisten (Horst Wessel) oder gegen das „System“ (die Novemberputschisten) ihr Leben ließen. Erinnerungsrituale verwiesen von 1933 bis 1945 auf deren „Opfertod“, welcher die Machtergreifung mit ermöglicht habe („Und ihr habt doch gesiegt!“). Denkmäler, Grabsteine und der „Ehrentempel für die Gefallenen der Bewegung“ verpflichteten die Lebenden, im Sinne der Toten zu handeln.
Das Projekt nimmt diesen Ansatz auf, wechselt aber die Perspektive: Anstatt der großen Helden und der Kultpraxis an den zentralen Orten der NSDAP sollen lokale „Märtyrer“ im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Denn: Auch in der Provinz gab es Partei- und SA-Größen, welche in den Wahlkämpfen, nach dem 30. Januar 1933 und im Falle Österreichs im Juliputsch 1934 ihr Leben verloren. Nicht dem tatsächlichen Tod, sondern der (Um-)Deutung, also der Konstruktion einer Heiligenvita und eines Martyriums, gilt die Analyse. Dabei ist die Ausgangsüberlegung, dass mittels regionaler Studie das Wechselverhältnis von religiöser Heilssehnsucht und politischem Kontext genau ausgelotet werden kann. Die Untersuchungsregionen sind zum einen Westfalen und zum zweiten eine Schwerpunktregion des österreichischen Juliputsches.
Folgende drei Untersuchungsschritte sind geplant:
- Die von lokalen NS-Größen gehaltenen Gedenkansprachen werden in Bezug auf die Konturierung des Martyriums, die Beziehung zur „Mission des Führers“ und den Aufruf zur permanenten Opferbereitschaft der Lebenden von der „Kampfzeit“ bis zum Herbst 1938 nachvollzogen. Somit geraten auch die Reichspogromnacht als Ereignis im Gefolge einer Erinnerungsfeier und die Etablierung der NS-Herrschaft in Österreich nach dem „Anschluss“ in den Blick.
- Die Totenehrung, d. h. die kollektive Memoria, wird im Hinblick auf die Vorstellung von der Realpräsenz der Toten, auf Liturgie und soziale Funktionen überprüft.
- Konflikt und Koexistenz von Religionen sind aufzuzeigen: Wie verhielten sich die christlichen Kirchen und kirchentreue Gläubige zum NS-Märtyrerkult? Insbesondere sind die Begräbnisse der „Alten Kämpfer“ in Hinblick auf NS-Liturgie und kirchlich-agendarische Vorgaben zu untersuchen.
Das Projekt ist Teil der Koordinierten Projektgruppe Martyrium und Märtyrerkult.