(C2-12) Mitgliedschaft und Zugehörigkeit: Verein, Stadt und Reichsreligion in der Antike
In der zweiten Clusterphase werden auf der Grundlage der Ergebnisse der ersten Phase und unter Heranziehung teils des bisher erschlossenen, teils neu zu erschließender Quellengruppen Inklusions und Exklusionsmechanismen, Eintrittsrituale sowie auch in Ansätzen Ausschluss und Wiederaufnahmeverfahren untersucht. Übergeordnete Fragestellungen betreffen das antike Vereinswesen in seinem Verhältnis zur Stadt sowie die Entwicklung des Christentums vom auf Vereinsbasis organisierten Kult zur Reichsreligion.
(1 Vereine/Collegia) Das antike Vereinswesen bildet den Ausgangspunkt der Analysen. Es ist die Frage zu bearbeiten, welche Bedeutung der Mitgliedschaft in Vereinen aus einer historisch-soziologischen Perspektive für die Beschreibung der griechisch-römischen Antike zukommt. Strukturen des Vereinswesens werden unter anderem dazu verwendet, Judentum und Christentum vor allem vor dem 4. Jahrhundert in konkreten, sozialen Einheiten zu beschreiben.
(2) Über den Verein hinausgehende Strukturen sind vor allem in der Zeit vor Konstantin von hoher heuristischer Relevanz. (2.1 Verein und Stadt) Das Verhältnis von Mitgliedschaft im Verein zur Mitgliedschaft in Polis, Ethnos und Großreich wird zunächst anhand von Performanzen untersucht. In der Stadt wie im Verein gibt es Eintrittsverfahren, Verfahren zur Amtseinsetzung, Opferkult und Gemeinschaftsmahl. Die Nachahmung einer größeren Einheit (etwa einer Polis), die sich z.B. auf die Übernahme von Amtsbezeichnungen und die Nachahmung offizieller Publikationsweisen erstreckt, steht in einem Spannungsverhältnis zu der Beobachtung, dass im Vereinskontext Götter verehrt werden können, die im offiziellen Stadtkult nicht vorkommen, und Menschen zusammenkommen, die nach geltender Norm außerhalb des Vereins nichts miteinander zu tun hätten. Das Projekt beschreibt historische Beziehungen zwischen Vereins und Stadtorganisation.
(2.2 Netzwerke) Daraufhin sollen Netzwerke von Vereinen und ihre Beziehungen zu religiösen Zentren untersucht werden. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Anhängern von Jupiter Dolichenus, den Judäern in ihrer Bezogenheit auf den nach 70 zerstörten, zuvor jedoch sehr wirksam und in der Diaspora auch spürbar funktionierenden Tempel in Jerusalem, den Anhängern des Mithras (die sich schon in der Antike durch einen vielleicht fiktiven Bezug zu Persien profilieren) sowie den Christen sind anhand eines Modells konkurrierender Netzwerke von Vereinen zu untersuchen. Bereits an dieser Stelle zeigt sich, dass zwar nur griechisch-römischer Kult auf allen Ebenen zwischen Stadt, später Imperium, und Haus bzw. Einzelperson Einflüsse hat. Dennoch transzendieren auch andere Kulte die Ebene des Vereins, auch wenn sie noch nicht als öffentliche und als kollektiv gedeutete Praxis der Stadt verstanden werden.
(3) Aus christlicher Perspektive führen die Entwicklungen des 4. Jahrhunderts auf eine neue Ebene der Repräsentation und der kollektiven Praxis. Nach wie vor fordert Boyarins Ansatz zu einer Debatte über die antiken Kategorien von Volk und Religion (unter Einbezug der bei Boyarin nicht behandelten Ebene der Vereine) heraus. Verschiedene Diskurse – kultisch, philosophisch, politisch, juristisch, genealogisch (deszendenzanzeigend) – benützen und modifizieren Vorstellungen von „Volk“. Sie machen „Volk“ zu einem Gesamtkonzept. So wie der Verein sich als Volk im Kleinen verstehen konnte (und die Gemeinschaft der Vereinsmitglieder sich auch mit „Volk“ bezeichnen konnte), musste im Christentum nun der Schritt vom Verein im Großen hin zu einer das Leben der Stadt und des Imperiums mitbestimmenden Größe unternommen werden. Vereine können natürlich durch ihre Partizipation an größeren Netzwerken aus heutiger Sicht als „ethnische Gruppen“ gedeutet werden, auch wenn sie sich selbst nicht als ethnos bezeichnen würden.
Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattform E Differenzierung und Entdifferenzierung und der Koordinierten Projektgruppe Mediale Figurationen des Politischen und des Religiösen.