(B2-9) Politisch-nationale Stoffe und geistlich-religiöse Form – Das Oratorium vom 18. bis zum 20. Jahrhundert

Das musikwissenschaftliche Forschungsprojekt B2-9 widmet sich der politischen Funktionalisierung religiöser Musik im diachronen Vergleich vom 18. bis 20. Jahrhundert am Beispiel der Gattung Oratorium – und untersucht damit eine Gattung, die zu den am wenigsten erforschten in der Musikgeschichte zählt.

a.) Deutsche Oratorien und Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert (Habilitationsprojekt)

Hermann Küster verweist 1877 in seinen „Populären Vorträgen über Bildung und Begründung eines musikalischen Urteils“ auf die besondere politische, ja nationale Bedeutung, die den Oratorien zufalle. Das von Küster formulierte Diktum, nach welchem „echte Künstlerseelen früher oder später [zur Schaffung] wahre[r] Nationalwerk[e]“ begeistert sein müssten, ist nicht allein für die Zeit des (jungen) Kaiserreichs zutreffend. Vielmehr kann bereits seit den Napoleonischen Kriegen eine massive Einflussnahme nationalistischer Tendenzen auf die musikalische Gattung festgestellt werden. Über die Pflege und Rezeption der ‚älteren‘ Oratorien hinaus entsteht eine Reihe neuer „Nationalwerke“ mit zum Teil mythologischen und historischen Sujets aus dem germanischen und nordischen Kulturraum. Auf diese Weise zeigt sich gattungsinhärent die Verschränkung von religiöser Wurzel und steter religiöser Tradition (bis in die Gegenwart hinein) mit einer parallel verlaufenden Verweltlichung. Dieses im Ganzen noch nicht erschlossene Repertoire der deutschen Oratorien des 19. Jahrhunderts bildet den Kerngegenstand des Projekts. Die politischen Ereignisse bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts und ihre Auswirkungen auf bzw. Reflexion in oratorischen Werken markieren das Ende des Untersuchungszeitraums. Das Spektrum reicht dabei von der Instrumentalisierung der Gattung im Nationalsozialismus bis hin zur Reflexion der Geschehnisse in der Nachkriegszeit.

b.) Die Oratorien Georg Friedrich Händels

Buch Gewalt Bedrohung Krieg
Buchcover „Gewalt - Bedrohung - Krieg“

Die Oratorien Georg Friedrich Händels können als die bedeutendsten politisch aufgeladenen Gattungsbeiträge des 18. Jahrhunderts gelten. Zurückgreifend auf den seit dem 16. Jahrhundert verwendeten Identifikationstopos der Briten mit dem biblischen Volk Israel komponierte Händel eine Reihe biblischer Oratorien als Reflex auf seine politische Gegenwart.

Aus diesem Grund hat das Projekt zunächst dieses Phänomen am Beispiel des berühmten Oratoriums Judas Maccabaeus in den Blick genommen. Im Rahmen der mit den Schlagworten „Gewalt – Bedrohung – Krieg“ überschriebenen Vortragsreihe wurde die Komposition aus verschiedenen Blickrichtungen (in Kooperation mit Prof. Dr. Johannes Schnocks, Dr. Iris Fleßenkämper, Prof. Dr. Gabriele Müller-Oberhäuser sowie Prof. Dr. Jürgen Heidrich) beleuchtet, um dergestalt zu präzisieren, wie diese Vertonung der lebensweltlichen Gegenwart als Analyse- und Kommentierungsinstanz gegenübersteht. Ausgehend von der im Oktober und November 2009 veranstalteten Reihe entstand unter Hinzuziehung weiterer Autorinnen und Autoren eine Sammelpublikation, die das Werk aus verschiedenen fachlichen Perspektiven von der Textgrundlage und seiner Entstehung bis hin zur Rezeption im 20. Jahrhundert beleuchtet.

Buch Die Macht der Musik
Buchcover „Die Macht der Musik“

Ein zweiter Sammelband (entstanden in Kooperation mit Prof. Dr. Anja Bettenworth) vereinigt in ähnlicher Weise einen Reigen von Beiträgen, die sich aus dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen einer oratorischen Komposition Händels zuwenden: Mit „Alexander’s Feast Or: The Power of Music“ gelangte dabei ein Werk in den Blick, bei dem sowohl der Text (John Dryden, 1697) als auch die Vertonung (1736) als Meisterwerke gelten. Auch in dieser Publikation reicht das Spektrum der Beiträge von der Analyse der Textgrundlage und ihren antiken Vorbildern bis zur Untersuchung der Vertonung Händels und deren Rezeption.

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Buchcover „Aufführungen von Händels Oratorien im deutschsprachigen Raum (1800–1900)“

Die Pflege der Händel’schen Oratorien und der Niederschlag, den die Aufführungen in der musikalischen Presse des 19. Jahrhunderts gefunden haben, steht im Fokus des dritten Händel-bezogenen Bandes des Forschungsprojektes. Bekanntlich sind die Oratorien Händels während des gesamten 19. Jahrhundert aufgeführt worden. Die vorliegende Dokumentation, die in Kooperation mit Prof. Dr. Rebekka Sandmeier und unter Mitarbeit von Studierenden der Universitäten in Kapstadt und Münster entstanden ist, bietet einen Überblick über die Aufführungstraditionen und ihre publizistische Resonanz. Das Nachschlagewerk, in dem über 4.400 Teil- und Gesamtaufführung verzeichnet sind, hält reichhaltiges Material für weitergehende Studie zur Händel-Rezeption im 19. Jahrhundert bereit.

c.) Die Oratorien Louis Spohrs

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© Vandenhoeck & Ruprecht

Als Ergebnis einer interdisziplinären Tagung, die im November 2013 in Münster stattgefunden hat, ist 2015 die Sammelpublikation "Die Oratorien Louis Spohrs. Kontext - Text - Musik" erschienen. Der Band versammelt 18 Einzelstudien, in denen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachdisziplinen (Musikwissenschaft, Theologie, Germanistik und Geschichtswissenschaft) den vier Oratorien Louis Spohrs zuwenden. Sämtliche Gattungsbeiträge Spohrs werden hinsichtlich ihrer Entstehungshintergründe, der Textgrundlage sowie der Musik untersucht. Der Band bietet auf diese Weise einen umfassenden Einblick in das Oratorienschaffen Spohrs und die jeweilige Verbindung der Einzelwerke zu zeitgenössischen Strömungen in Politik, Theologie und Literatur.

d.) Verzeichnis der deutschen Oratorien 1800-1950

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Online-Datenbank VDO

Die Online-Datenbank VDO bietet einen Überblick über das reichhaltige deutsche Oratorienrepertoire des 19. und 20. Jahrhunderts. Ziel des Projekts ist es, möglichst umfassend Werke (Quellen, Editionen etc.), Aufführungsdaten und Sekundärliteratur zu deutschsprachigen Oratorien zu dokumentieren.

Das VDO ist eine deutsch-südafrikanische Kooperation zwischen dem musikwissenschaftlichen Forschungsprojekt im Exzellenzcluster "Religion und Politik" an der Universtität Münster und dem South African College of Music an der Universität Kapstadt. Das Projekt wurde ebenfalls gefördert von der Wolfgang Suwelack-Stiftung.