(B2-6) Politisch-religiöse Interdependenzen in sakralen Räumen. Epigraphische Texte im Umfeld antiker griechischer Heiligtümer
Neben den monumentalen und architektonischen Überresten ermöglicht nicht nur die literarische Überlieferung, sondern vor allem auch eine reiche Fülle von Inschriften einen Einblick in die funktionale Vielfalt antiker griechischer Heiligtümer. Im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses stehen dabei in der Regel vornehmlich die Weihinschriften sowie die unmittelbar dem Heiligtum zugehörigen Verwaltungsurkunden (Tempelinventare, Bau- und Rechnungsinschriften etc.). Heiligtümer dienten aber auch als Aufstellungsort für epigraphische Dokumente, die nur ganz bedingt in einem Zusammenhang mit der jeweiligen Kultstätte standen; und nur diese Textzeugnisse bilden den Untersuchungsgegenstand dieses Forschungsvorhabens. Dabei geht es nicht um die – von der Forschung meist auch schon geleistete – historische Auswertung einzelner Dokumente, sondern um eine systematische gattungsspezifische Analyse der Aufstellungspraxis. Die Frage nach den Gründen für die „Verortung“ dieser – primär eben nicht religiösen – Texte in Heiligtümern öffnet den Blick für ganz spezifische Bedingungsgefüge von Politik und Religion, die geeignet sind, die besondere Dialektik zwischen diesen beiden Bereichen im antiken Griechenland genauer zu erfassen. Folgende Textgattungen werden im Zentrum der geplanten Untersuchungen stehen:
1. Staatsverträge:
Die Veröffentlichung antiker Staatsverträge wurde in der Regel dergestalt geregelt, dass diese nicht nur in Staatsarchiven deponiert, sondern auch in zentralen Heiligtümern der jeweiligen Vertragspartner und darüber hinaus oft auch noch in großen überregionalen Heiligtümern an „dritten“ Plätzen aufgestellt wurden. Auf diese Weise entstand ein besonderes Beziehungsgeflecht zwischen den Initiatoren der Inschriftensetzung, dem Heiligtum als Aufstellungsort und den – durchaus verschiedenen – Adressaten der Aufstellung. Die Rück- und Auswirkungen dieses Beziehungsverhältnisses sind zum einen in Bezug auf den Stellenwert der in der Inschrift fixierten Regelungen, zum anderen in Bezug auf das jeweilige Heiligtum selbst zu bestimmen.
2. Freilassungsurkunden:
Eine zahlenmäßig noch weitaus größere Inschriftengruppe als die Staatsverträge bilden in griechischen Heiligtümern die Inschriften, mit denen die Freilassung von Sklaven dokumentiert wurde. Auch wenn die Freilassungsinschriften unter rechtlichen Aspekten schon sehr eingehend untersucht worden sind, ist dieser äußerst reiche epigraphische Quellenbestand bis dato für die hier in Frage stehende Bestimmung des Verhältnisses von Religion und Politik noch nicht hinreichend fruchtbar gemacht worden. Die bislang häufig vertretene These, allein ein ausgeprägtes Publikationsbedürfnis sei Ursache für die öffentliche Manifestation der Freilassungen, greift sicherlich zu kurz. Hier gilt es vielmehr, die je spezifischen religiösen, politischen und auch wirtschaftlichen Gründe und Rahmenbedingungen herauszuarbeiten, um die Ursachen zu ermitteln, die dazu führten, dass die manifeste Dokumentation einer Freilassung in einem Heiligtum offenbar vielfach als eine unabdingbare Voraussetzung für den ohnehin bereits archivierten Rechtsakt betrachtet wurde. In gleicher Weise wie im Falle der Staatsverträge soll auch hier das besondere Beziehungsgefüge zwischen den Akteuren, dem Aufstellungsort und den Adressaten untersucht werden
3. Orakeltexte und Fluchtafeln:
Diese beiden Textgattungen unterscheiden sich von den zuvor Genannten, da sie weitaus enger und unmittelbarer mit der kultisch-religiösen Sphäre verbunden sind. Gleichwohl eignen sie sich im Zusammenhang der übergeordneten Fragestellung nach den Interdependenzen von Politik und Religion als eine ausgezeichnete Ergänzung. Grundlage dieses Untersuchungsteils, der in enger Zusammenarbeit mit der Arbeitsstelle „Inscriptiones Graecae“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und dem Berliner Pergamon-Museum geplant ist, bildet ein umfangreiches Konvolut bisher unpublizierter Orakeltäfelchen aus dem Zeusheiligtum von Dodona und einem großen Bestand attischer Fluchtafeln, der ebenfalls nach bereits erfolgter Restauration neu zu publizieren ist.
Das Projekt ist Teil der Arbeitsplattformen E Differenzierung und Entdifferenzierung und F Transkulturelle Verflechtungen sowie der Koordinierten Projektgruppe Mediale Figurationen des Politischen und des Religiösen.