„Musik als Schlüssel zum Weltganzen“

Religionswissenschaftlerin Annette Wilke über Musik im Hinduismus

Prof. Dr. Annette Wilke
Prof. Dr. Annette Wilke
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Über das Verhältnis des indischen Hinduismus zur Musik hat die Religionswissenschaftlerin Prof. Dr. Annette Wilke zum Abschluss der Ringvorlesung „Musik und Religion“ des Exzellenzclusters gesprochen. „Wohl keine andere Religionskultur hat eine so ungebrochene Verbindung zur Musik entwickelt wie der Hinduismus“, sagte die Forscherin des Exzellenzclusters. Nach dem indischen Verständnis werde Musik typischerweise dadurch definiert, Emotionen auszulösen sowie Freude und Zustände der Versenkung herbeizuführen. „Sprache, Musik, Bewusstsein und Lebendigkeit werden als untrennbare Einheit wahrgenommen.“ Der Vortrag trug den Titel „Klang der Welt und Yoga für jedermann – Religion und Musik in Indien“.

Prof. Wilke stellte das komplexe Konzept des sogenannten Nāda-Brahman in den Mittelpunkt ihres Vortrags, mit dem Musik in Indien häufig verbunden werde. „Dahinter steht die Idee eines klanglichen absoluten göttlichen Seins, das die Welt durchdringt“, erläuterte die Religionswissenschaftlerin. Es werde vor allem in der Rāga-Musik unmittelbar sinnlich und emotional erfahrbar. „Musik wird hier zum Schlüssel des Weltganzen und einer besonders angenehmen Form von Yoga, einer Verschmelzung mit dem Göttlichen.“

„Klangzentrierte Lebenswelt“

Die Religionswissenschaftlerin thematisierte das Verständnis des Nāda-Brahman-Konzepts aus Sicht mittelalterlicher indischer Musikologen und späterer Musiker sowie den kulturellen Kontext einer „ausgesprochen klangzentrierten Lebenswelt“. „Religiöse Texte wurden kaum still gelesen, sondern vokalisiert, rezitiert gesungen und getanzt“, erläuterte Prof. Wilke. Meist habe es sich bei den devotionalen Texten um Lieddichtungen gehandelt. „Es gibt eine Reihe musizierender und tanzender Gottheiten, etwa die Göttin Sarasvatīi und die großen Götter Śiva und Kṛṣṇa, mit denen die vielfältigen religiösen Vorstellungen von Klang und Musik zur Darstellung kommen.“

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Ton-Mitschnitt des Vortrags
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Die Forscherin wies darauf hin, dass das Nāda-Brahman-Konzept Ende des 20. Jahrhunderts mit Formeln wie „die Welt ist Klang“ und „Klang ist Gott“ auch in Europa und Amerika populär wurde. „Wesentlich verantwortlich dafür war das 1983 veröffentlichte Buch ‚Nada Brahma: die Welt ist Klang‘ des Jazzhistorikers und New-Age-Propagandisten Joachim Berendt.“

Die öffentliche Ringvorlesung „Musik und Religion“ untersuchte das vielschichtige Verhältnis von Musik und Religion seit der Antike bis heute, in Europa und Nordamerika, in Indien und im Nahen Osten. Das Spektrum der Vorträge reichte von der Musik in Judentum, Islam und Hinduismus über die christliche Kirchenmusik bis zum Klavierlied des 19. Jahrhunderts und der Popmusik der Gegenwart. Veranstalter waren der Musikwissenschaftler Dr. Dominik Höink, die Islamwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Bauer und Dr. Monika Springberg-Hinsen, der katholische Theologe und Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Clemens Leonhard und die Leiterin der Wissenschaftskommunikation am Exzellenzcluster, Viola van Melis. (dak/maz)