Zwischen Religion und Realpolitik
Internationaler Workshop über islamische Kalifen, Sultane und Präsidenten von der Frühzeit bis heute – mit öffentlichem Abendvortrag
Mit islamischen Herrschern im Spannungsfeld von Religion und Realpolitik befasst sich ein internationaler Workshop der Graduiertenschule des Exzellenzclusters „Religion und Politik” der Uni Münster. „Entgegen häufiger Vermutungen handelt es sich beim Herrschaftsmodell der meisten islamischen Gemeinwesen weder in der Geschichte noch in der Gegenwart um einen Gottesstaat“, erläutern die Veranstalter, der Geschichts- und Islamwissenschaftler Nadeem Khan und der Geschichts- und Islamwissenschaftler Stephan Tölke. In der islamischen Welt sei vielmehr von der Frühzeit bis heute eine „Vielzahl von teils sehr unterschiedlichen Herrschaftskonzeptionen erdacht, diskutiert und eingefordert“ worden. „Die Konzepte eines idealen islamischen Staatswesens standen in Konkurrenz zu nicht-islamischen Herrschaftskonzepten wie der Militärkultur und den Zwängen der Realpolitik.“ Der Workshop “Caliphs, Sultans, Presidents. Rulers between Religion and Realpolitik throughout Islamic History” („Kalifen, Sultane, Präsidenten. Herrscher zwischen Religion und Realpolitik in der islamischen Geschichte”) findet vom 21. bis 22. Juli in Münster statt.
Interessierte sind zu einem öffentlichen Abendvortrag in englischer Sprache eingeladen: Der renommierte US-amerikanische Historiker Prof. Jonathan Berkey spricht am Donnerstag, 21 Juli, um 18:15 Uhr in Hörsaal J 01 in der Johannisstraße 4 über das Konzept und den Einfluss von Predigten und religiöser Autorität im mittelalterlichen Islam. „Predigten haben seit der Frühzeit des Islams eine nicht zu unterschätzende Rolle im religiösen Leben vieler Muslime gespielt“, erläutern Nadeem Khan und Stephan Tölke. „Das ging auf die Praxis des Propheten zurück. Dem Predigen kam – besonders in der Zeit vor den modernen Massenmedien – ein enormes Autoritätspotenzial zu.“ Der Vortrag trägt den Titel “Commanded to Speak by God and His Prophet. Religious Authority in Medieval Islam” („Predigen auf Befehl Gottes und seines Propheten. Religiöse Autorität im mittelalterlichen Islam“). Jonathan Berkey ist Professor für Internationale Studien und Geschichte am Davidson College in North Carolina (USA) und gilt als einer der führenden Experten für die Geschichte des Islams und das Verhältnis von Religion und Gesellschaft in der islamischen Vormoderne.
Workshop mit Islamwissenschaftlern und Historikern aus Europa und den USA
Der Workshop bringt Islamwissenschaftler und Historiker aus Europa und den USA zusammen, um das Tagungsthema von den frühen Kalifaten bis in die Gegenwart zu untersuchen. Anmeldungen zum Workshop nehmen die Veranstalter unter caliphs.sultans.presidents@uni-muenster.de entgegen.
Der Workshop befasst sich auch mit dem Selbstverständnis islamischer Herrscher und ihrer Beziehung zu geistigen Führern. Die Forscher fragen, welche Anforderungen islamische Gelehrte an Herrscher stellten, inwieweit historische Persönlichkeiten diesen tatsächlich entsprachen und mit welchen Mitteln Herrscher zu beeinflussen waren. „Wir untersuchen auch, wie Kalifen, Sultane und Präsidenten in verschiedenen Diskursen über Herrschaft dargestellt und als Rollenmodell für die Gesellschaft benutzt wurden. Das gibt Aufschluss darüber, wie herrschaftliche Ideale durch Kritik und Traditionsbildung angepasst und bewahrt wurden“, so Khan und Tölke. Auch die Umkehrung eines solchen Verhältnisses – die Einflussnahme eines Herrschers auf Glaubensinhalte und Praktiken – ist Thema des Workshops. „Dazu zählt auch die mögliche Beeinflussung islamischer Gelehrter etwa durch Patronage. Grund dafür war etwa, ob und inwieweit Herrscher Legitimation aus religiösem Gebaren ziehen wollten und konnten.“ Ein Schwerpunkt liegt zudem auf Transformationsprozessen, in denen beispielsweise nach einer militärischen Eroberung ein religiös legitimierter Herrschaftsanspruch konstruiert wird, um die eigene Dynastie zu legitimieren.
Weitere Tagungsbeiträge befassen sich mit Konfrontationen zwischen Herrschern und religiösen Gruppierungen, wobei besonders Aushandlungsprozesse zwischen idealistisch-religiösem Anspruch und pragmatischem Handeln untersucht werden. Aber auch gewaltsame Episoden, wie die Verfolgung bestimmter religiöser Gruppen oder religiös motivierte Umsturzversuche werden ins Auge gefasst. (exc/ska)