Wie Religion die Sprache beeinflusste
Studie von Jürgen Macha über Konfession und Sprache in der Frühen Neuzeit erschienen
Der konfessionelle Faktor in der deutschen Sprachgeschichte der Frühen Neuzeit steht im Mittelpunkt einer neuen Publikation des im Januar unerwartet verstorbenen Sprachwissenschaftlers Prof. Dr. Jürgen Macha vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“. Die Arbeit bündelt auch Ergebnisse des Cluster-Projekts C19 Zwischen Religion und Politik: Konfessionalisierung der Sprache in der Frühen Neuzeit?. Die Studie trägt den Titel „Der konfessionelle Faktor in der deutschen Sprachgeschichte der Frühen Neuzeit“ und ist als sechster Band der Reihe „Religion und Politik“ im Würzburger Ergon-Verlag erschienen, die der Exzellenzcluster herausgibt.
Der Faktor Konfession hat sich seit der Generation der Zeitgenossen der Reformation im 16. Jahrhundert und bis weit über die Generationen der Aufklärung hinaus nachhaltig in den kollektiven Sprachhaushalt deutschsprachiger Menschen „eingeschrieben“, wie Prof. Dr. Macha in seinem Werk darlegt. Beispiele für solche sprachlichen Konfessionalismen sind das berühmte „Lutherische -e“ am Wortende, wie in „Türe“, und das „Lutherische t“ in „predigt“, während in katholischen Quellen zeitgleich die t-lose Variante „predig“ vorherrschte. Teilweise prägen die Auswirkungen des Faktors Konfession das Sprachleben bis heute, so der Autor. Die Studie stellt den ersten Versuch einer ordnenden Bestandsaufnahme sprachhistorischer Phänomene dar, die auf unterschiedliche Weise mit der frühneuzeitlichen Interdependenz von Sprache und Konfession zusammenhängen.
So geht es einmal um Konstanz und Wandel autochthoner Sprachkultur unter dem Einfluss von Konfession und Herrschaft, indem verschiedene Territorien genauer unter die Lupe genommen werden. Als weitere Facette der Thematik kommen Effekte der Konfessionalisierung im kultusbezogenen Ausdrucksverhalten der einzelnen Bekenntnisse zur Sprache. Dabei gibt es konfessionskontrastive Analysen zu Textsorten wie Glockeninschriften, Grabinschriften und Leichenpredigten. Ein Kapitel über den Einfluss der Konfession auf mundartliche Sprache beschließt die Publikation. (Ergon-Verlag/bhe)
Aus dem Inhalt:
- Abbildungsverzeichnis
- Vorwort
1. Einleitung
2. Zur Beziehung von Sprache und Konfession in der Frühen Neuzeit: Untersuchungsrelevante Vorüberlegungen
2.1 Theoretischer Rahmen: Das Verhältnis Sprache – Konfession
2.1.1 Glaubenssprachen undKonfessiolekte
2.1.2 Sprachliche Konfessionalismen
2.2 Zeitlicher Horizont: Von der Reformation bis zum späten 18. Jahrhundert
2.2.1 Historische Konzeptionen
2.2.2 Sprachhistorische Entwürfe
2.3 Sprachhistorische Konstellation: Die Heterogenität des frühneuzeitlichen Deutsch
2.3.1 Kanzleisprache
2.3.2 Büchersprache
3. Kontinuität und Wandel autochthoner Sprachkultur unter dem Einfluss von Konfession und Herrschaft: Befunde zu einzelnen Territorien
3.1 Nürnberg in der Reformation
3.2 Österreich und Bayern in der Gegenreformation
3.3 Rheinland, Westfalen und ausgewählte norddeutsche Städte
in der Gegenreformation
3.3.1 Kurkölnische Lande
3.3.2 Münster, Osnabrück, Soest, Braunschweig, Hannover
3.3.3 Exkurs: Der Wandel katholischer Predigtkultur im westfälischen Münster
3.4 Donauwörth vor und nach 1607
3.4.1 Evangelischer versus katholischer Kalender
3.4.2 Der Name der Stadt und seine endgültige Festlegung
3.4.3 Schreibprofile der lokalen Kanzleischriftlichkeit: Reichsstädtische und bayerische Phase im Vergleich
3.4.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu Donauwörth
3.5 Baden-Baden und Baden-Durlach: Hofsprache im 17. Jahrhundert
3.6 Die Etablierung und Durchsetzung spezifischer Schreibprofile
3.6.1 Der Weg über die Kanzleien
3.6.2 Der Weg über schulische Unterweisung
4. Konfessionalisierungseffekte in kultusbezogener Sprache: Befunde zu einzelnen Textsorten
4.1 Glockeninschriften
4.1.1 Schreibvarietäten
4.1.2 Formulare und Inhalte
4.1.3 Sprachwahl
4.2 Inschriften des Totengedächtnisses
4.2.1 Lutherische Bibelzitate in nachreformatorischer Epigraphik
4.2.2 Grabinschriften im Vergleich
4.3 Leichenpredigten
5. Sprachliche Konfessionalismen als signa distinctiva: Einzelbefunde
Exkurs: Sprachliche Konfessionalismen im Werk des Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
5.1 Graphematische Konfessionalismen
5.1.1 Das lutherische e
5.1.2 Das epithetische t in predigt
5.1.3 Substantivgroßschreibung in Bibelausgaben
5.2 Ein morphematischer Konfessionalismus
5.3 Lexematische Konfessionalismen im kultusnahen Wortschatz
5.3.1 Kommunion versus Abendmahl versus Nachtmahl
5.3.2 Hailiges Creütz versus Creutz
5.3.3 Vater unser versus Unser Vater
5.3.4 Glauben in Gott versus Glauben an Gott
5.4 Onomastische Konfessionalismen
5.4.1 Unterschiedliche Adaption biblischer Namen
5.4.2 Frühneuzeitlicher Umgang mit Personennamen
5.4.2.1 Rufnamen als Diskursgegenstand und konfessionspolitisches Programm
5.4.2.2 Die gesellschaftliche Mächtigkeit der Rufnamen-Konfessionalisierung
5.4.2.3 Kurzformen von Rufnamen
5.4.2.4 Antikisierung von Familiennamen
5.5 Pragmatische Konfessionalismen: Grußverhalten
5.5.1 Gelobt sei Jesus Christus als katholische Grußformel
5.5.2 Die Verbreitung des Lobspruch-Grußes
5.5.3 Das Vorkommen von Grüß Gott und Guten Tag
5.6 Konfessionelle Sprachpräferenz und Sprachumsetzung
5.6.1 Latein und Deutsch als Bezugsgrößen
5.6.2 Verwendung von Druckschrifttypen
6. Reflexe konfessioneller Ausrichtung in mundartlicher Sprache
6.1 Nordwestdeutscher Raum: Erscheinungsweisen des Diminutivsuffixes
6.2 Südwestdeutscher Raum: Unterschiede in Lautlichkeit und Lexik
6.3 Südost- und Osteuropa: Bekenntnis und Dialekt in deutschen Sprachinseln
7. Sprache und Konfession in der Frühen Neuzeit: Ein vorläufiges Resümee in neun Punkten
- Literaturverzeichnis
- Register
- Personen- und Sachregister
- Orts- und Regionenregister
Hinweis: Jürgen Macha: Der konfessionelle Faktor in der deutschen Sprachgeschichte der Frühen Neuzeit. Würzburg, Ergon-Verlag, 1. Auflage 2014. 240 Seiten. (= Religion und Politik; Band 6). ISBN 978-3-95650-010-7, 39 Euro.