„Ketzerbekämpfung als Herrschaftspropaganda“

Historiker Scharff über Häresie und Königtum in der Karolingerzeit

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Prof. Dr. Thomas Scharff

Über Häresie in der Karolingerzeit hat Historiker Prof. Dr. Thomas Scharff in der Ringvorlesung „Verfolgung um Gottes Willen“ des Exzellenzclusters gesprochen. Darin legte er die weitreichende politische Bedeutung von Ketzerdiskursen dar, die in vielfältiger Weise im Fränkischen Reich des 8. und 9. Jahrhunderts geführt wurden. „Obwohl es zu dieser Zeit kaum ‚echte‘ Ketzer gab, nutzten Könige wie Karl der Große die zahlreichen Häresiediskurse, um ihre politische Herrschaft religiös zu legitimieren und zu stabilisieren“, sagte der Wissenschaftler von der TU Braunschweig.

In der Erforschung mittelalterlicher Häresien und ihrer Verfolgung werde das Zeitalter der Karolinger trotz einer großen Fülle an Quellen zu wenig beachtet. Tatsächlich hätten sich die großen Ketzerbewegungen und die kirchliche Inquisition erst später im Hoch- und Spätmittelalter herausgebildet, sagte Prof. Scharff. „Doch das unter den Karolingern gefestigte Bild des Herrschers hat dessen Rolle im Kampf gegen die Häresie im gesamten Mittelalter stark mitbestimmt“, so der Historiker.

Rechtgläubigkeit des Herrschers

Prägend für das Selbstbild des Herrschers Karls des Großen sei die Vorstellung der eigenen Rechtgläubigkeit gewesen. „Der König inszenierte sich als Verfechter der Orthodoxie“, erläuterte Prof. Scharff. Hierbei habe er eine ältere Tradition fränkischer Orthdoxie neu belebt und aktualisiert. „Unter Karl dem Großen wurde der Kampf gegen Häretiker – vor allem am Rand des Imperiums – verbal offensiv aufgenommen und zu einem wichtigen Aspekt der Herrschaftspropaganda ausgebaut.“ So inszenierte er sich dem Historiker zufolge als König, der sein Volk von Ketzerei von außen schützte und selbst die „reine Lehre“ verkündete.

Das Herrscherbild unter den Karolingern war laut Prof. Scharff ständig Wandlungen unterworfen und wurde ab Ludwig dem Frommen (778-840) zunehmend selbstkritisch reflektiert. „Setzte Ludwig sich auf Konzilien nicht genügend gegen Ketzer durch – etwa beim Streit um Bilderverehrung oder dem Handel mit kirchlichen Ämtern und Reliquien – konnte dies zum Anlass für Herrscherkritik werden.“ Während die Franken unter Karl noch als „immun gegen jede Häresie“ galten, sei dies unter Ludwig vielmehr ein Zustand gewesen, der erst durch Reformen gegen Ketzerei wieder erreicht werden könne, so der Wissenschaftler.

Prof. Scharff ist Professor für Mittelalterliche Geschichte und Dekan der Fakultät für Geistes- und Erziehungswissenschaften an der TU Braunschweig. Sein Vortrag in Münster trug den Titel „‚Rex, quem Deus ipse docet‘ (‚Der König, den Gott selbst belehrt‘) – Häresie und Königtum in der Karolingerzeit“.

Plakat der Ringvorlesung

Plakat

Die Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und des Centrums für Mittelalter und Frühneuzeitforschung (CMF) geht der Diskriminierung und Verfolgung Andersgläubiger anhand zahlreicher Beispiele quer durch die mittelalterliche und neuzeitliche Geschichte nach. Die Themen reichen vom Frühmittelalter und den Konfessionskonflikten der Frühneuzeit über den Kirchenkampf in der DDR bis zur Buddhistenverfolgung im kommunistischen Kambodscha und zur Christenverfolgung im Nahen Osten. Zu Wort kommen Geschichts- und Religionswissenschaftler, Soziologen, Theologen, Buchwissenschaftler, Romanisten und Byzantinisten. Den nächsten Vortrag am Dienstag, 18. Juni, hält Historiker Prof. Dr. Bernard Heyberger aus Paris über „Verfolgung, Diskriminierung und Zusammenleben: Christen im Nahen Osten (17.-21. Jahrhundert)“. Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 zu hören. (han)