„Religionspolitischer Handlungsbedarf wird notorisch unterschätzt“
Historiker Großbölting zum Umgang mit religiöser Vielfalt in Deutschland
Über den Umgang mit religiöser Vielfalt in Deutschland hat Historiker Prof. Dr. Thomas Großbölting vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in der Ringvorlesung des Forschungsverbundes gesprochen. „Die aktuelle Diskussion um die Abweisung einer mutmaßlich vergewaltigten Frau in katholischen Krankenhäusern, die Debatte über die Beschneidung von jüdischen und muslimischen Jungen oder die umstrittene Koranverteilung durch Salafisten zeigen, wie stark das religiöse Feld in Deutschland in Bewegung ist.“ Die Zahl der religionspolitischen Konflikte nehme zu. Politik und Gesellschaft allerdings würden sich „weitgehend in den religionspolitischen Bahnen der alten Bundesrepublik“ bewegen und den religionspolitischen Handlungsbedarf notorisch unterschätzen.
„Viele Veränderungen werden heute nur reaktiv wahrgenommen. Meist wird erst dann agiert, wenn sie als Probleme auftreten“, so der Zeithistoriker. In seinem Vortrag machte er dies an drei Segmenten deutlich – an der Beziehung der Deutschen zum Islam, an der Ausgestaltung des Staat-Kirche-Verhältnisses und am Umgang mit Vielfalt innerhalb der christlichen Großkirchen.
Die Ringvorlesung des Exzellenzclusters und des „Centrums für Religion und Moderne“ (CRM) befasst sich mit dem Thema „Religiöse Vielfalt. Eine Herausforderung für Politik, Religion und Gesellschaft“. Der Vortrag von Prof. Großbölting trug den Titel „Warum sich die deutsche Gesellschaft mit religiöser Vielfalt so schwer tut – eine (zeit)historische Erkundung“. Der Wissenschaftler stellte darin Themen seines Buches „Der verlorene Himmel. Glaube in Deutschland seit 1945“ vor, das im Februar bei Vandenhoeck & Ruprecht erscheint.
Prof. Großbölting ist Hauptantragsteller des Exzellenzclusters und leitet das Projekt C2-8 „Neue Soziale Bewegungen und religiöse Sozialformen in der Nachmoderne: ein deutsch-nordamerikanischer Vergleich“. Bis 2012 leitete er das Cluster-Projekt C22 Transzendente Sinnstiftung und religiöse Vergemeinschaftung im nachmodernen Europa. Der Wissenschaftler beendete die Ringvorlesung „Religiöse Vielfalt“ des Exzellenzclusters und CRM. Die Vorlesungsreihe analysierte Beispiele religiöser Pluralität von der Antike über das Mittelalter und die Frühneuzeit bis zu Deutschland, England, China und den USA heute. Dabei kamen unterschiedliche Disziplinen zu Wort: Religions-, Geschichts-, Islam- und Rechtswissenschaft genauso wie Theologie, Sinologie, Soziologie und Politikwissenschaft. (ska/vvm)