„Ein tiefgreifender Lernprozess“

Sozialethiker Karl Gabriel zum Umgang der katholischen Kirche mit religiöser Vielfalt

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Prof. Dr. Karl Gabriel

Über den Umgang der katholischen Kirche mit religiöser Vielfalt hat Sozialethiker und Religionssoziologe Prof. Dr. Karl Gabriel vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in der Ringvorlesung des Forschungsverbundes gesprochen. Auf dem Weg zur Anerkennung der Religionsfreiheit habe die Kirche einen „tiefgreifenden Lernprozess“ vollzogen – von teils schroffer Ablehnung bis zur offiziellen Anerkennung. Auch bis zur Versöhnung mit dem religiösen Pluralismus sei der Katholizismus einen langen Weg gegangen. „Über Jahrhunderte hat die katholische Kirche in religiöser Vielfalt in erster Linie ein Übel gesehen, das es auch mit Mitteln staatlicher Gewalt zu bekämpfen galt“, sagte Prof. Gabriel. „Erst die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) zur Religionsfreiheit hat unmissverständlich aus der Würde der menschlichen Person das Recht auf Religionsfreiheit abgeleitet.“

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Ton-Mitschnitt des Vortrags

Die Ringvorlesung des Exzellenzclusters und des „Centrums für Religion und Moderne“ (CRM) befasst sich mit dem Thema „Religiöse Vielfalt. Eine Herausforderung für Politik, Religion und Gesellschaft“. Der Vortrag von Prof. Gabriel trug den Titel „Moderner Katholizismus und religiöser Pluralismus: Von der Abwehr zur Versöhnung – und wieder zurück?“. Der Wissenschaftler legte darin Ergebnisse seines Forschungsprojektes C11 „Gewaltverzicht religiöser Traditionen“ am Exzellenzcluster vor. Das Forscherteam untersuchte die Gründe für die Wende in der kirchlichen Lehrmeinung zur Religionsfreiheit.

„Umbruch in der Religionspolitik der katholischen Kirche“

„Der Wandel einer derart traditionsgebundenen Institution lässt sich nicht allein mit Vorgängen um das Zweite Vatikanum erklären“, so die Wissenschaftler. Entgegen der bisherigen Forschungsmeinung sei der Wechsel nicht nur auf eine bahnbrechende Intervention der US-Bischöfe auf dem Konzil zurückzuführen. Die Gründe seien komplexer.

Ein ganzes Tableau historisch zeitgleich auftretender Bedingungen und Ereignisse habe diesem tiefgreifenden Umbruch in der Religionspolitik der katholischen Kirche den Boden bereitet. Dazu gehörten laut Prof. Gabriel die Erfahrungen des Nationalsozialismus und Stalinismus, die Rolle des politischen Katholizismus und Laienkatholizismus, die Kodifizierung der Menschenrechte sowie die Ausbreitung freiheitlicher Demokratien im Westen.

Mit Blick auf die heutige Kirche sieht der Sozialethiker nach wie vor Schwierigkeiten im Umgang mit religiöser Vielfalt. „Die Klerikerkirche hält im Selbstverständnis an Elementen des religiösen Heilsmonopols fest.“ Die Folge seien innerkirchliche Spannungen, die sich in immer neuen Krisen bemerkbar machten. Momentan habe die katholische Kirche „wenig Grund zum Jubeln“. Sie habe das „Grundmuster des religiösen Monopols“ nur teilweise überwunden. Dafür gebe es viele Anzeichen. „Es ist wohl als ein Zeichen der großen politischen Naivität von Papst Benedikt XVI. zu werten, dass er in seiner Versöhnungspolitik mit der Piusbruderschaft deren reaktionäre und autoritäre politische Ausrichtung als belanglos ausblendet.“

Plakat der Ringvorlesung

Plakat der Ringvorlesung

Ringvorlesung „Religiöse Vielfalt“

Prof. Gabriel leitet in der zweiten Förderphase des Exzellenzclusters (2012-2017) das Projekt C2-6 „Die Dialektik von Differenzierungsprozessen: Der Katholizismus in sich ausdifferenzierenden Gesellschaften des 19. Jh.“. Er ist emeritierter Professor für Christliche Sozialwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Die Ringvorlesung „Religiöse Vielfalt“ des Exzellenzclusters und des CRM analysiert Beispiele religiöser Pluralität von der Antike über das Mittelalter und die Frühneuzeit bis zu Deutschland, England, China und den USA heute. Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Den nächsten Vortrag am 15. Januar 2013 hält Historiker Prof. Dr. Michael Hochgeschwender zum Thema „Amerikanische Evangelikale, Katholiken und der Pluralismus in Politik und Ökonomie in den USA“. (ska/vvm)