„Im Land der Konfessionslosen“
Religionssoziologe Pollack zeichnet „Triumph der DDR über das Christentum“ nach
Über die Rolle der evangelischen Kirchen und der christlichen Bevölkerung in der DDR hat Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack in der Ringvorlesung „Verfolgung um Gottes willen“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und des Centrums für Mittelalter und Frühneuzeitforschung (CMF) gesprochen. Er zeichnete am Dienstagabend in einem historischen Überblick nach, wie und warum es zum „dramatischen Rückgang“ des Mitgliederbestandes der evangelischen Kirchen innerhalb von 40 Jahren gekommen sei. „Waren 1949 noch 81 Prozent der Bevölkerung evangelisch, so gehörten beim Untergang des Kommunismus 1989 in Ostdeutschland noch 25 Prozent der Kirche an. Der Anteil der Konfessionslosen stieg in dieser Zeit von 7 auf 70 Prozent.“
Der Staatssozialismus habe beiden Kirchen „enorme Verluste“ bereitet, die sich nach der Wende fortgesetzt hätten, sagte der Soziologe. Heute seien noch 17 Prozent der Menschen in Ostdeutschland evangelisch, die Region sei zum „Land der Konfessionslosen“ geworden. „Die Gründe für den massiven Einbruch der Mitgliederzahlen sind komplex“, sagte Prof. Pollack. „Der wichtigste Faktor war die politische Repression durch den sozialistischen Staat. Die DDR war weithin totalitär. Für die Verantwortlichen der Kirchen bestand daher kaum die Möglichkeit, durch Verhandlungen mit der Staatsmacht eigene Spielräume auszudehnen.“ Außerdem habe die DDR-Führung, im Unterschied etwa zu Polen, die Sozialstruktur durch Verstaatlichung von Bauernhöfen und Betrieben so stark verändert, dass den Kirchen ihr gesellschaftliches Rückgrat aus Bauern, Handwerkern und Bürgertum weggebrochen sei.
Zugleich habe der Staat über Jahrzehnte enormen Druck auf die Bevölkerung ausgeübt, sich von den Kirchen abzuwenden und zum Beispiel der Konfirmation die Jugendweihe vorzuziehen, unterstrich der Forscher. „Die Kirchenleitung konnte sich aufgrund der mangelnden Widerstandsbereitschaft in der Bevölkerung an staatliche Erwartungen vielfach nur noch anpassen.“ Für einen kirchlichen Widerstand gegen den undemokratischen Staat hätten die Kirchenverantwortlichen erst Ende der 1980er Jahren deutliche Unterstützung in der Bevölkerung gespürt.
Diplomatie hinter verschlossenen Türen
Der Vortrag trug den Titel „Triumph des Kommunismus über das Christentum: Kirchenkampf in der DDR“. Im historischen Überblick legte der Forscher verschiedene Phasen der Kirchenpolitik dar und analysierte den theologischen Umgang mit dem sozialistischen Staat. Demnach zeigte sich die evangelische Kirche in den ersten Jahren von 1949 bis 1958 kritisch gegenüber dem Sozialismus, auch nachdem die SED-Führung sie ab 1952 offen angriff und die Jungen Gemeinden bekämpfte. Als der Staat die Bevölkerung ab 1958 massiv unter Druck setzte und die Verweigerung der Jugendweihe mit schulischen Benachteiligungen bestrafte, habe die Kirche den Kampf verloren.
„Es folgten Jahrzehnte der Diplomatie hinter verschlossenen Türen und eine kirchliche Annäherung ans System“, erläuterte der Religionssoziologe. Die Kirche habe sich in dieser Zeit als „Kirche im Sozialismus“ verstanden. Diese „Loyalitätsformel“ habe zeigen sollen, dass es keine „Kirche neben oder gegen den Sozialismus“ gewesen sei. „Man wollte sich weder vollständig ausgrenzen, noch vereinnahmen lassen.“ Offene Grundsatzkritik sei vermieden worden. Erst als zwischen 1978 und 1982 alternative politischen Gruppen in der DDR entstanden seien, hätten die Kirchen ihnen Schutz, Plattformen und Räume zur Verfügung gestellt. „Sie wurden zu Moderatoren des staatlich nicht zugelassenen Dialogs.“ Von 1987 bis zum Mauerfall habe sich das Staat-Kirche-Verhältnis verschärft. „Die Kirchenvertreter wurden in ihrer Kritik mutiger, weil sie wussten, dass sie die Bevölkerung mehr und mehr wieder hinter sich hatten.“
Prof. Pollack studierte in den 1970er Jahren evangelische Theologie in Leipzig und habilitierte sich Anfang der 1990er Jahre in Bielefeld in Soziologie. 1995 wurde er Professor für vergleichende Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Seit 2008 ist er Professor für Religionssoziologie an der Universität Münster und Mitglied des Exzellenzclusters „Religion und Politik“.
Die öffentliche Ringvorlesung „Verfolgung um Gottes willen. Politisch-religiöse Konflikte in Vormoderne und Moderne“ geht der Diskriminierung und Verfolgung Andersgläubiger anhand zahlreicher Beispiele quer durch die mittelalterliche und neuzeitliche Geschichte nach. Zu Wort kommen Geschichts- und Religionswissenschaftler, Soziologen, Theologen, Buchwissenschaftler, Romanisten und Byzantinisten. Im nächsten Vortrag am Dienstag, 23. April, spricht Byzantinist Prof. Dr. Michael Grünbart vom Exzellenzcluster über „Häresiebekämpfung im byzantinischen Mittelalter“. Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 zu hören. (vvm)