„Religiöse Eiferer ähneln sich in ihren Geschlechtervorstellungen“
Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun über Gemeinsamkeiten fundamentalistischer Bewegungen
Fundamentalistische Bewegungen in Judentum, Christentum und Islam pflegen Forschern zufolge stets eine konservative Einstellung zum Verhältnis von Mann und Frau. Sie „ähneln sich häufig in ihrer traditionellen Haltung zum Geschlechterverhältnis“, sagte Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Christina von Braun am Dienstagabend in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“. Trotz der Gemeinsamkeiten zwischen Fundamentalisten der drei Buchreligionen berge gerade das Verhältnis von Religion und Geschlecht das meiste Konfliktpotenzial zwischen den Religionen.
„Obwohl fundamentalistische Bewegungen die Rechte von Frauen durch ihre Geschlechtervorstellungen stark einschränken, werden sie von Frauen oft massiv unterstützt“, sagte von Braun. „Die Bewegungen kultivieren den Anschein eines Matriarchats.“ Begründet sei die traditionelle Vorstellung der Geschlechterordnung in fundamentalistischen Bewegungen darin, dass die Rolle von Mann und Frau die Rolle von Gott und Mensch sichtbar mache, also eine transzendente Ordnung widerspiegele. Der Vortrag der Wissenschaftlerin, die auch als Autorin und Filmemacherin bekannt ist, trug den Titel „Die Funktion von Geschlecht in den fundamentalistischen Bewegungen“.
Wunsch nach Regeln und hohe Autoritätsgläubigkeit
Als weitere Kennzeichen fundamentalistischer Bewegungen in den Buchreligionen sieht Prof. von Braun Konstanten wie eine starke Künstler- und Intellektuellenfeindlichkeit und eine Verklärung der Vergangenheit im Sinne einer rückwärts gewandten Utopie. Den Bewegungen sei zudem eine ausgeprägte Schriftgläubigkeit zu eigen. „Fundamentalisten sind nicht dumm oder ungebildet“, sagte die Referentin in ihrem Vortrag und nannte eine Studie aus dem Jahr 2007, der zufolge gewaltbereite religiöse Fanatiker überproportional häufig einen Ingenieurberuf ergriffen hätten. Mögliche Gründe, so die Autoren der Studie, seien der Wunsch nach Regeln und eine hohe Autoritätsgläubigkeit.
Feste Regeln prägen nach Ansicht der Wissenschaftlerin auch das Leben der Fundamentalisten. „Der Übergang von einer mündlichen Weitergabe des Glaubens zur Schriftlichkeit hat zu dem Wunsch nach Eindeutigkeit beigetragen“, so von Braun. So seien Frauenrechte im Ägypten im späten 19. Jahrhundert unter dem Einfluss europäischer Rechtsnormen drastisch eingeschränkt worden. „Die Gerichte entschieden nicht länger pragmatisch und der sozialen Situation angemessen, sondern nahmen die strengste Auslegung der Scharia als Maß aller Dinge.“ Das Vorbild westlicher Gesellschaften mit einem von der Schrift bestimmten Weltbild habe häufig zu dem Wunsch nach Eindeutigkeit beigetragen und der vorher üblichen Ambiguitätstoleranz ein Ende gesetzt.
„Gigantische Medienkampagnen“
Prof. von Braun zeigte anhand der amerikanischen „Bible-Belt-Bewegung“, wie fundamentalistische Strömungen Massenmedien nutzen, um politischen Einfluss zu erlangen. „Radio und Fernsehen ermöglichten Predigern, ein Gemeindeleben durch emotional aufgeladene Shows mit Wunderheilungen und Spontanbekehrungen zu ersetzen“, erläuterte sie. Feindbilder der in den 1970er Jahren gegründeten „Moral-Majority-Bewegung“ seien der Kommunismus, ein säkularer Humanismus, die Gleichberechtigung der Frau, Sexualaufklärung in den Schulen sowie die Emanzipation der Homosexuellen. In den „gigantischen Medienkampagnen“, mit denen die Bewegung in den 1980er Jahren um Mitglieder geworben habe, hätten Themen wie Antimodernismus, Geschlechterfragen und Patriotismus eine entsprechend wichtige Rolle gespielt.
Die Referentin lehrt am Kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität (HU) Berlin. Neben dem Wechselverhältnis von Geistesgeschichte und Gender zählen Medien, Religion und Moderne sowie die Geschichte des Antisemitismus zu ihren Forschungsschwerpunkten. Für das Buch „Verschleierte Wirklichkeit: Die Frau, der Islam und der Westen“ hat sie die Auszeichnung „Bestes wissenschaftliches Buch des Jahres 2008“ in der Kategorie Sozial- und Kulturwissenschaften vom österreichischen Wissenschaftsministerium erhalten.
Die Ringvorlesung befasst sich im Wintersemester 2011/2012 mit dem Verhältnis von Religion und Geschlecht. Unter dem Titel „Als Mann und Frau schuf er sie“ untersucht sie, wie Religionen von der Antike bis heute die Geschlechterordnung beeinflussten. Am Dienstag, 24. Januar, spricht die Sozialethikerin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins unter dem Titel „„...nicht mehr Mann und Frau (Gal 3,28)“ über „Geschlecht und Geschlechterverhältnisse – Provokation für Kirche und Theologie“. Der öffentliche Vortrag beginnt um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22. (bhe/vvm)