2. Wie kann der Bildungsauftrag erfolgreich umgesetzt werden?


Die Umsetzung des oben skizzierten Bildungsauftrags gelingt nicht voraussetzungslos. Vielmehr ist eine erfolgreiche Umsetzung an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. Zu diesen Erfolgsfaktoren gehören

  • die Ausrichtung der pädagogischen Arbeit an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den Besonderheiten des frühkindlichen Lernens,
  • die Ausrichtung der pädagogischen Arbeit an einem Qualitätszirkel zur Organisation individualisierter Bildungsangebote und
  • die Bereitstellung von professionellen Beobachtungs-, Dokumentations- und Fördermaterialien für das pädagogische Personal sowie deren Qualifikation zur Anwendung dieser professionellen Materialien in Aus- und Weiterbildung.

Ausrichtung der pädagogischen Arbeit an den Besonderheiten des frühkindlichen Lernens 

Einigkeit besteht im Ziel der frühkindlichen Bildungsarbeit, nämlich das Entwicklungspotenzial aller Kinder zu entfalten und sie zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu bilden – zum Nutzen der Kinder und zum Nutzen der Gesellschaft. Worin die Aufgabe der Fachkräfte auf dem Weg zu diesem Ziel genau besteht, wird zwischen Anhängern der verschiedenen pädagogischen Ansätze, wie z. B. dem Selbstbildungs- oder dem Ko-Konstruktionsansatz, heftig diskutiert. Dabei verstellen normative Vorannahmen zuweilen den Blick auf das pragmatisch Machbare und Gebotene. Ein Blick in die entwicklungs- und lernpsychologische Forschung kann helfen, empirisch gesicherte Erkenntnisse zu den Besonderheiten des kindlichen Lernens in den Blick zu nehmen und als Grundlage für die Bildungsarbeit zu verwenden.


Ausrichtung der pädagogischen Arbeit an einem Qualitätszirkel zur Organisation individualisierter Bildungsangebote


Um ein Bildungsangebot passend zum individuellen Entwicklungsstand eines Kindes durchführen zu können, hat sich ein Vorgehen bewährt, das auch als Qualitätszirkel zur Gestaltung individueller Bildungsprozesse bezeichnet wird. Der Qualitätszirkel ist unabhängig vom favorisierten pädagogischen Ansatz gültig und damit in pädagogischen Fachkreisen weitgehend unstrittig.


Zirkel Neu

  1. Die Fachkraft holt das Kind im übertragenen Sinne „dort ab, wo es aktuell steht“. Daher versucht sie den individuellen Entwicklungsstand (IST-Stand) eines jeden Kindes möglichst genau zu bestimmen.
  2. Der ermittelte IST-Stand ist die Grundlage, um passende Herausforderungen und (Unterstützungs-) Angebote zu planen.
  3. Diese führt sie dann als (Spiel-)Aktivitäten gemeinsam mit dem Kind im Kita-Alltag durch. Solche „Lerngelegenheiten“ ermöglichen dem Kind Eigenaktivitäten und damit verbunden neue Erfahrungen, die zu einer Weiterentwicklung seines Ist-Stands führen.
  4. In angemessenen Abständen (mindestens jährlich) vergewissert sich die Fachkraft durch eine erneute Beobachtung des kindlichen Entwicklungsstands, inwiefern die Lerngelegenheiten dem Kind tatsächlich Fortschritte ermöglicht haben.
  5. Mit diesem neuen Ergebnis (Fortschritte, Stillstand, Rückschritte) reflektiert sie die zurückliegenden Lerngelegenheiten unter dem Aspekt der Angemessenheit und den besonderen Vorlieben des Kindes und plant die nächsten Herausforderungen und Unterstützungsangebote.

Bereitstellung von professionellen Beobachtungs-, Dokumentations- und Fördermaterialien

Damit pädagogische Fachkräfte den o.g. Qualitätszirkel in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit  für jedes der durchschnittlich 25 Kinder einer Gruppe in allen Bildungsbereichen und im Fortgang der Entwicklung wiederholt durchlaufen können, benötigen sie professionelle und praxistaugliche Verfahren zur Beobachtung, Dokumentation und Förderung der kindlichen Entwicklung.

Verfahren zur Erfassung der kindlichen Entwicklung. Es gibt eine Vielzahl an Verfahren, aber nur die wenigsten erfüllen die wissenschaftlichen Gütekriterien an eine professionelle Beobachtung und Diagnostik. So sollte ein solches Verfahren in der Beurteilung fair sein, d.h. objektive und valide Aussagen zum Entwicklungsfortschritt und zur Altersangemessenheit der beobachteten Fähigkeiten eines Kindes machen können und gleichzeitig praktikabel in der Durchführung und Auswertung sein.

Verfahren zur Dokumentation der kindlichen Entwicklung. Eine Bildungsdokumentation für jedes Kind zu führen, ist ein gesetzlich vorgeschriebener Auftrag an die pädagogischen Fachkräfte. Eine solche Dokumentation muss fairerweise verlässliche und valide Aussagen zum Entwicklungsstand eines Kindes beinhalten. Gleichzeitig darf ihre Erstellung nur wenig Zeit beanspruchen. Denn Zeit, die für die Erstellung einer Dokumentation benötigt wird, geht notgedrungen auf Kosten der Zeit, die für die Bildung der Kinder zur Verfügung steht. Eine professionelle und zugleich praxistaugliche Bildungsdokumentation verknüpft die Dokumentations- mit der Beobachtungsaufgabe.

Verfahren zur Förderung der kindlichen Entwicklung. Es gibt mittlerweile eine unermessliche Zahl von Materialien, die alle für sich beanspruchen, Kinder in ihrer Entwicklung zu fördern. Nicht jedes schön anzusehende oder für Kinder attraktive Spielzeug ist per se förderlich. Welches Spielmaterial oder Spielangebot für ein Kind entwicklungsangemessene Möglichkeiten zur Herausbildung neuer Kompetenzen bereithält, ist zum einen davon abhängig, auf welchen Entwicklungsmeilenstein das Spielmaterial zielt und zum anderen davon, welche Entwicklungsmeilensteine das Kind aktuell bereits erreicht hat und welche als nächstes vor ihm liegen. Diese Informationen stehen auf keinem Spielkarton, sondern sind nur durch Experteneinschätzungen der Spiele und durch eine systematische Entwicklungsbeobachtung der Kinder zu erhalten. Hier fehlen bislang Spielesammlungen, die den Leser bzgl. der gezielten Förderung bereichsspezifischer Entwicklungsmeilensteine orientieren und anleiten.