„Sorge um den Nachwuchs – die Jugend bei der Musterung in der Literatur der frühen Moderne“
[German only]
Um 1900 rotieren literarische und wissenschaftliche Texte gleichermaßen um den Adoleszenten und seine Entwicklung. Der Adoleszent wird dabei zum privilegierten Objekt moderner Wissenschaftsinteressen und dient zugleich als Metapher für die neuen Selbstentwürfe einer Gesellschaft, die gerade um die Jahrhundertwende einen signifikanten Stellenwert einnehmen. In meinem Dissertationsprojekt möchte ich der Frage nachgehen, wie sich einer zunehmenden Konjunktur von Adoleszenz – und Entwicklungsromanen am Anfang des 20. Jahrhunderts ein unmittelbar diskursiver Zusammenhang zu dem epistemischen Interesse am Nachwuchs ausweisen lässt, das in dieser Zeit vor allem der (wehrpflichtigen) „Jugend bei der Musterung“ gilt. Die Musterung sammelt direkt Daten vom Körper des Adoleszenten über seine spezifische Beschaffenheit und entscheidet welcher davon als tauglich qualifiziert werden darf und unter welchen Bedingungen sich ein solches Wissen konstelliert. Hierbei gilt es nach den Möglichkeiten einer Lesbarkeit dieser Daten zu fragen und wie das Auswerten des adoleszenten Körpers eine konstitutive Funktion bei den (Selbst)beschreibungsversuchen einer Gesellschaft um 1900 einnimmt. Tauglichkeit steht demzufolge nicht nur für ein bestimmtes Wissen vom Menschen ein, sondern weist zugleich die strukturelle Disposition eines Narrativs auf, über das sich eine Gesellschaft definiert und von dem aus sie ihre Normen und Ansprüche an den Einzelnen formuliert. Anhand einer exemplarischen Auswahl an Texten, die sich vornehmlich mit der Entwicklung des Adoleszenten um 1900 auseinandersetzen, soll deshalb nachgezeichnet werden, wie dieses der Musterung entnommene Wissen um den tauglichen Körper, darin als normative Größe Gestalt annimmt und sich zugleich mit einer „Sorge um den Nachwuchs“ verbindet, um diese Norm zu garantieren. Dabei zeigt sich allerdings, dass Tauglichkeit eine so feste Größe gar nicht ist, sondern stets Vereinnahmungsprozessen unterworfen wird, gleichwohl wie sie als verhandel- und verschiebbare Größe in den zu untersuchenden Texten apostrophiert wird.