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Armando García-Schmidt


Louis Aragon und der Spanische Bürgerkrieg



I. Einleitung


Am 18. Juli 1936 erhoben sich Teile der spanischen Armee gegen die erst kurz zuvor aus demokratischen Wahlen hervorgegangene Volksfrontregierung. Anders als geplant, sollte der Putsch in einen drei Jahre währenden, mit ungeheurer Grausamkeit geführten Bürgerkrieg münden.
In einer Welt, die von den Gegensätzen der Ideologien in Spannung gehalten wurde, gewann der Spanische Bürgerkrieg schnell internationale Dimensionen. Während sowohl die faschistischen Staaten Deutschland und Italien als auch die Sowjetunion auf der jeweiligen kriegführenden Seite aktiv eingriffen, schwankten die demokratischen Staaten zwischen echter Neutralität und heimlicher Unterstützung der einen oder anderen Seite. Das Frankreich der Dritten Republik, dessen eigene gesellschaftliche und politische Polarisierung nach dem Wahlsieg einer Volksfrontregierung am 3. Mai 1936 stärker denn je zutage trat, konnte - so vermutet die heutige Geschichtsschreibung - um den Preis des inneren Friedens und der guten Beziehungen zu Partnern wie Großbritannien eine direkte Einmischung auf Seiten der Spanischen Republik nicht wagen.
Über die Untätigkeit des offiziellen Frankreich entrüstet, traten viele französische Intellektuelle, darunter ein Großteil Schriftsteller, für den Kampf gegen den Faschismus ein. Das Engagement reichte vom Verfassen politischer Schriften, finanzieller Unterstützung bis hin zum persönlichen Kriegseinsatz. Auch im späteren Werk vieler französischer Schriftsteller wird der Spanische Bürgerkrieg zum Thema gemacht. Neben Namen wie André Malraux, Antoine de Saint-Exupéry oder Albert Camus steht auch Louis Aragon.
In dem Schaffen Aragons, den Wolfgang Babilas als einen "der faszinierendsten, facettenreichsten französischen Dichter der Gegenwart" charakterisiert, spiegelt sich mehr als ein halbes Jahrhundert französischer, ja europäischer Literatur-, Geistes- und Politikgeschichte. Als einer der jungen Dichter um André Breton prägte er zunächst den Surrealismus der zwanziger Jahre mit, um schließlich überzeugter Kommunist zu werden, der während der deutschen Besatzung zu dem Dichter der Résistance avancierte.
Der Spanische Bürgerkrieg hat wie kaum ein anderes Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts vor dem zweiten Weltkrieg die Gemüter herausgefordert. Es war das erste Aufflackern des lange erwarteten Zusammenstoßes der Ideologien. In dieser Arbeit soll vor dem Hintergrund der historischen Bedingungen untersucht werden, wie sich Louis Aragon zu dem Spanischen Bürgerkrieg stellte. Was schrieb er zu diesem Ereignis und mit welcher Intention tat er dies; welche Ausdrucksformen wählte er?
Zunächst sollen die Vorbedingungen des Spanischen Bürgerkriegs dargestellt werden. In einem zweiten Schritt muß untersucht werden, wie der Spanische Bürgerkrieg zu einer Auseinandersetzung werden konnte, die zwar den Namen Bürgerkrieg trägt, jedoch soviel internationales Aufsehen und Engagement geweckt hat, daß auch die französische Intelligenz in zwei sich feindlich gesinnte Lager zerfiel. Vor dem Hintergrund der so gewonnenen Informationen sollen schließlich die Schriften Aragons zum Spanischen Bürgerkrieg einer genauen Analyse unterzogen werden.
Das Thema des Spanischen Bürgerkriegs in den literarischen Zeugnissen Aragons läßt vielleicht eine neue und genauere Sicht auf das Engagement des politischen Aktivisten Aragon zu, eröffnet aber sicher auch neue Perspektiven bei der Untersuchung wichtiger Fragen zum Gesamtwerk: Welche Rolle spielt zum Beispiel das Motiv der perönlichen Freiheit im Gesamtwerk Aragons? In welchem Verhätnis stehen die persönliche Freiheit und der Individualismus zum Ideal der kommunistischen Bewegung jener Zeit, und wie verarbeitet Aragon dieses Spannungsverhältnis? Dies sind nur einige der weiterführenden Fragestellungen, denen eine genauere Untersuchung des Werkes in Bezug zum Spanischen Bürgerkrieg als Ausgangspunkt dienen könnte.

II. Die historische Dimension des Spanischen Bürgerkriegs

1. Historische Vorbedingungen
Auch wenn die historischen Bedingungen und der Verlauf des Spanischen Bürgerkriegs hier nicht bis ins Detail dargestellt werden können, ist es unerläßlich, den wichtigsten Zusammenhängen des historischen Geschehens nachzugehen. Ein genaueres Verständnis der literarischen Zeugnisse jener Jahre wäre sonst nicht möglich.
Die dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts sind die konfliktreichsten der neueren spanischen Geschichte. Bis zur Ausrufung der Republik im Jahr 1931 hatte sich eine Reihe latenter oder offener Konfklite angesammelt, die in den Jahren der Zweiten Republik (1931-1936/39) nur ansatzweise gelöst werden konnten, sich zum Teil sogar noch verschärften oder gar erst offen zutage traten. Der Modernisierungsprozeß, den Spanien in den letzten zwei Jahrhunderten durchgemacht hat, verlief ungleich konfliktreicher als zum Beispiel in Mitteleuropa. Verwerfungen und Ungleichzeitigkeiten zwischen den verschiedenen Ebenen der Entwicklung (ökonomische, soziale, politische und demographische) waren die Folge; Spannungen und gesellschaftliche Widersprüche entstanden, die schließlich in Krisen und Konflikten mündeten.
Von der älteren Geschichtswissenschaft wird die Konfliktlage vor allem auf den scheinbar zugrundeliegenden Antagonismus zwischen den sogenannten zwei Spanien zurückgeführt: Ein urban-progressives, antiklerikal-liberales und republikanisch-demokratisch gesinntes Lager und ein ländlich-konservatives, autoritär-monarchisches und katholisch-traditionalistisches Lager stehen sich in dieser verkürzten Geschichtsbetrachtung gegenüber. Die neuere Geschichtsforschung versucht eine differenziertere Sicht auf die Konfliktachsen und die Zusammenhänge, die schließlich zum Bürgerkrieg führten, zu eröffnen. Hierbei müssen sowohl die spanischen als auch die internationalen Einflüsse berücksichtigt werden. Man versucht, die langfristigen Strukturen und auch kurzfristig-aktuellen Ursachen, die zu der bewaffneten Auseinandersetzung führten, zu benennen und zu analysieren. Vier Konfliktbereiche begreift man heute als langfristige, eigens spanische Strukturprobleme, die den Weg zu einer friedlichen Modernisierung verhinderten: Zum einen ist dies das sehr komplexe Problem der Agrarfrage, der zweite Punkt ist das schwierige Verhältnis zwischen Staat und Militär. Auch das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zeichnet sich in der neueren spanischen Geschichte durch eine überaus große Konfliktgeladenheit aus, und schließlich ist die Dynamik der spanischen Regionalismen und die Entstehung peripherer Nationalismen eine nicht zu vernachlässigende Bruchstelle.
Diese Problemfelder, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, belasteten die gesamte neuere Geschichte Spaniens zutiefst und zerrissen schließlich auch den ersten wirklich demokratischen Staat auf spanischem Boden.
Nach dem fehlgeschlagenen Versuch des Generals Primo de Rivera, die Konflikte und Entwicklungsrückstände des Landes mit der Politik einer autoritären Diktatur zu beheben, wurde 1931 die Republik ausgerufen. Ein laizistischer und liberaler Staat sollte geschaffen werden; eine bürgerlich-demokratische Verfassung, eine Militärreform, die Beschränkung der Macht der Kirche, eine Bildungsreform, soziale Reformen und eine Agrarreform wurden angestrebt.
Es kann hier nicht die wechselvolle Geschichte der II. Republik dargestellt werden. Es ist jedoch unerläßlich, darauf hinzuweisen, daß die oben angerissenen Problemfelder die Hypotheken der jungen Republik darstellten. Die fünf Jahre, in denen sich die Republik verfassungsgemäß entwickelte, stellen eine sich in ihrer Vehemenz und Militanz immer weiter verschärfende Auseinandersetzung zwischen zwei unterschiedlichen Modellen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Entwicklung dar, die schließlich im versuchten Militärputsch von 1936 mündete.
Mit der Unterstützung der grundbesitzenden Oligarchie und ihren Verbündeten sowie Teilen des Militärs und nicht zuletzt auch einer schnellen und effektiven Hilfe durch Deutschland und Italien konnten sich die erfolglosen Putschisten anstrengen, einen Krieg gegen die Republik zu führen.
In einer Welt, die zu jener Zeit stärker als je zuvor vom Gegensatz der Ideologien zerrissen war, wurde der sich nun entfesselnde Spanische Bürgerkrieg schnell zum Schauplatz einer internationalen ideologisch aufgeheizten Auseinandersetzung zwischen einem faschistischen Zukunftsmodell auf der einen und antifaschistischen, das heißt demokratischen bis hin zu kommunistischen, Leitbildern auf der anderen Seite. Der Spanische Bürgerkrieg war die erste der großen militärischen Auseinandersetzungen, in denen der lange schwelende Konflikt sich entlud. Die internationale Anteilnahme war groß. Kaum ein anderer Bürgerkrieg vorher oder nachher verursachte eine so starke internationale Polarisierung. Die internationale Anteilnahme äußerte sich in militärischer Unterstützung (die Aufständischen wurden von den faschistischen Staaten Deutschland und Italien massiv unterstützt, die Republik wurde von der UdSSR und Mexiko stark, von den westlichen Demokratien durch einen Nichteinmischungspakt eher halbherzig bis gar nicht unterstützt); mindestens genauso vehement wurde jedoch auch die ideologische Auseinandersetzung in und um Spanien geführt. Diese ideologische Auseinandersetzung wurde alsbald in die Künste und nicht zuletzt auch in die Literatur getragen.

2. Spanischer Krieg - Internationaler Krieg
Wie gezeigt werden konnte, sind die längerfristigen Ursachen und auch die konkreten Auslöser des Spanischen Bürgerkriegs eher in Spanien selbst zu suchen, auch wenn eine veraltete Geschichtsschreibung oft versuchte, das Gegenteil zu belegen. An der Tatsache, daß der Bürgerkrieg sich schnell internationalisierte, sind allerdings keine Zweifel angebracht.
In einer Welt, die immmer stärker von der Polarisierung zwischen den faschistisch-totalitären Systemen auf der einen Seite und den westlichen Demokratien und der Sowjetunion auf der anderen Seite geprägt wurde, war es nur eine Frage der Zeit, bis es zu militärischen Auseinandersetzungen auf dem europäischen Kontinent kommen würde. Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien schnell auf Seiten des aufständigen Militärs eingriffen und diesem mit finanzieller, aber auch militärischer Unterstützung halfen. Sowohl in Italien als auch in Deutschland, die beide nicht mehr länger gewillt waren, ihre imperialistischen Gelüste zu zügeln, war die strategische Wichtigkeit eines verbündeten Spanien erkannt worden. Die westlichen Demokratien, allen voran die USA und Großbritannien, entschlossen sich, in erster Linie um den Weltfrieden zu schützen, für eine Nichtintervention. Nicht sicher ist bis heute, ob in Großbritannien nicht auch eine Sympathie für das aufständische Militär den Ausschlag gab, da man von der Volksfrontregierung Reformen befürchtete, die englische Wirtschaftsinteressen hätten gefährden können. Selbst das Deutsche Reich und Italien traten dem Nichtinterventions-Pakt bei, brachen ihn aber unter aller Augen immer wieder. Lediglich die Sowjetunion unterstützte die Republik in ihrem legitimen Verlangen, den Verfassungsstaat zu retten. Aber auch diese Intervention geschah nicht aus rein altruistischen Ideen. Die kommunistische Partei gewann auf republikanischer Seite zunehmend Macht.
Von nichtstaatlicher Seite kam der Republik dafür um so mehr Unterstützung aus den westlichen Demokratien entgegen. Eine ungeheure Menge idealistischer Menschen der verschiedensten antifaschistischen Ideologien ging nach Spanien, um dort dem Faschismus mit der Waffe in der Hand Einhalt zu gebieten. In den Internationalen Brigaden, die zwischen 1936 und 1938 viel zur Verteidigung der Republik beitrugen, vereinigten sich zwischen 40 000 und 60 000 Freiwillige.
Frankreich sollte während des Spanischen Bürgerkriegs eine besondere Rolle zufallen. Die räumliche Nähe, die seit Jahrhunderten gewachsenen kulturellen Verbindungen zu Spanien und nicht zuletzt auch die politische Nähe (in Frankreich regierte seit 1936 auch eine Volksfrontregierung) sollten den Staat, vor allem aber viele Bürger dazu bewegen, gegenüber dem spanischen Krieg oder sogar in ihm Stellung zu beziehen. Kaum ein anderer Krieg hatte die Gemüter jemals so stark bewegt.
Die Französische Republik grenzte im Osten bereits an das faschistische Deutschland. In der französischen Gesellschaft selbst nahm die Polarisierung zwischen faschistischen und antifaschistischen Kräften immer stärker zu und begann sich in gewalttätigen Auseinandersetzungen zu äußern. Was lag näher, als Parallelen zwischen dem spanischen und dem eigenen Schicksal zu ziehen?
"C'est là [an der spanischen Front] que se décide le sort de la France"
behauptete der spanische Staatspräsident Manuel Azaña gegenüber dem französischen Schriftsteller Jean Cassou. Eine Äußerung, der - nach der Intensität, mit der die Auseinandersetzungen um den Spanischen Bürgerkrieg in Frankreich geführt wurden, zu urteilen - wohl alle Intellektuellen jener Jahre zugestimmt hätten.
Die Französische Republik hielt sich gegenüber dem spanischen Konflikt offiziell zurück und unterzeichnete den Nichtinterventions-Pakt. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß Frankreich selbst seit Anfang 1936 von einer Volksfrontregierung unter dem Sozialisten Léon Blum geführt wurde. Entscheidend für die Nichtintervention war zunächst die starke ideologische Polarisierung im eigenen Lande. Durch eine Nichtintervention sollte vermieden werden, den rechten Kräften Grund für gewalttätige Aktionen innerhalb Frankreichs zu liefern; der soziale und politische Frieden sollte bewahrt werden. Auch das Verhältnis zu dem immer bedrohlicher werdenden Deutschland muß bedacht worden sein; so hatte das Deutsche Reich erst kurz zuvor das entmilitarisierte Ruhrgebiet wieder besetzt. Schließlich war die Nichtintervention der demokratischen Kräfte, die faktisch den Franquisten in die Hände spielte, auch auf Verlangen und Druck Großbritanniens zustande gekommen, das an einer Begrenzung des Konflikts auf Spanien und einer Erhaltung der politischen und territorialen Integrität des Landes interessiert war, um seine wirtschaftlichen Interessen zu wahren.
Nach dem Beschluß der Regierung Blum, dem Hilfeersuchen der Spanischen Republik nicht stattzugeben, ging ein Schrei der Empörung durch die antifaschistisch gesinnten Teile der französischen Intelligenz. Der Polarisierung und Verschanzung in dem jeweiligen ideologischen Lager konnte kein Halt mehr geboten werden. Jedes Lager trat für ein vollkommen anderes Staats- und Gesellschaftsmodell an und glaubte, universal gültige Werte zu verteidigen. Nur die Dreyfus-Affäre habe eine vergleichbare Spaltung der französischen Öffentlichkeit provozieren können, wurde selbst damals schon vielfach behauptet.

III. Louis Aragon und der Spanische Bürgerkrieg

1. Die französischen Schriftsteller

Zwar scheint die Zahl der profranquistischen und der antifaschistischen Schriftsteller ungefähr gleichgewichtet zu sein, dennoch faszinierten die antifranquistischen Schriftsteller die damalige Öffentlichkeit durch ein zum größten Teil kompromißloseres Eintreten für ihre Ideen und ein Engagement, das vor dem Einsatz des eigenen Lebens nicht halt machte. Roswitha Kramer verdeutlicht, daß man zwei Arten des Engagements unter den antifaschistischen Schriftstellern deutlich voneinander trennen kann: Zum einen ist dies das individuelle, zum Teil spektakulär anmutende Engagement, wie es vor allem André Malraux, aber auch Antoine de Saint-Exupéry vorgelebt haben. Zum anderen sehen wir ein kollektives, oft parteigesteuertes Engagement vieler Schriftsteller. Vor allem die kommunistische Partei verstand es, durch eine Vielzahl von Aktionen und den ständigen Appell an die antifaschistische Einheit Schriftsteller für ihre Ziele einzusetzen. Ein Beispiel hierfür ist die massenhafte Teilnahme am 2. Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur, der 1937 in Spanien und Frankreich stattfand.
Während Malraux der Aufforderung zum Engagement nachkam, indem er seine schriftstellerische Tätigkeit zurückstellte und mit einer selbst organisierten Flugstaffel die Verteidigung Madrids gegen die heranrückenden Franquisten übernahm, stellte eine Vielzahl anderer Schriftsteller ihr Talent in den Dienst eines kollektiven Engagements, das seinen Ausdruck vor allem in dem bereits erwähnten 2. Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur fand. Dieser von der kommunistischen Partei nahestehenden Gruppen organisierte Kongreß fand 1937 an wechselnden Orten statt. Er begann in Madrid und wanderte dann über Barcelona und Valencia nach Paris. 200 Schriftsteller aus 30 Ländern nahmen teil. Die Akten des Kongresses geben den Blick frei auf die enthusiastische Erwartung, die viele der kommunistischen Partei nahestehende Schriftsteller hatten, den Faschismus in Spanien zu besiegen und so für alle Zeiten zu stoppen. Der Einsatz des eigenen Lebens, wie bei Malraux, blieb aber eher die Ausnahme unter den französischen Schriftstellern.
Während des Bürgerkriegs stieg das Interesse an der spanischen Literatur in Frankreich. Zwar geschah die Hinwendung zur spanischen Literatur oft aus deutlich propagandistischen Zwecken, nicht zu Unrecht verweist aber Jacques Gaucheron in seinem grundlegenden Werk über die Poesie der Résistance auf die jahrhundertealten kulturellen Bindungen der beiden Länder.
Die in erster Linie politische und ideologische Auseinandersetzung ließ während des Bürgerkriegs die Journalistik und Essayistik in den Vordergrund treten. Viele Schriftsteller stellten die Ästhetik in den Dienst des ideologischen Engagements. Vor allem in Frankreich diente dies dem Zweck, ein Gegengewicht gegenüber der zum Großteil eher profranquistisch eingestellten Tagespresse zu erreichen.
Die Ausbeute an Lyrik französischer Schriftsteller ist eher knapp, was erstaunt, wenn man die Menge an Gedichten und poetischer Prosa betrachtet, die zum Beispiel das Engagement angelsächsischer Dichter hervorbrachte. Wenige Gedichte wurden während des Bürgerkriegs und nur einige danach geschrieben. Ein Phänomen, bei dem Aragon - wie zu zeigen sein wird - nicht zurücksteht. Erst während der Résistance ändert sich dies, und das Engagement beginnt, sich auch in einer größeren Anzahl von Gedichten zu manifestieren. Ähnlich verhält es sich mit der fiktionalen Literatur, auch wenn bestimmte Werke französischer Autoren, wie L'Espoir von André Malraux, an exponierter Stelle stehen.
Die engagierte Literatur Frankreichs bekam während des Spanischen Bürgerkriegs ihre Prägung. Mit dem Bürgerkrieg endete jedoch nur eine Phase im Engagement gegen den Faschismus.

2. Aragon und der Spanische Bürgerkrieg
Louis Aragon, seit 1927 Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs, mußte wie viel seiner Zeitgenossen im Spanischen Bürgerkrieg das erste Aufflackern der lange befürchteten großen Auseinandersetzung mit dem Faschismus sehen. Sein Engagement während des Krieges ging damals konform mit den Zielen seiner Partei. Aragon stellte sein schriftstellerisches Talent in erster Linie in den Dienst der propagandistischen Ziele der Kommunistischen Partei.
In den klassischen literarischen Gattungen verarbeitet er die Ereignisse kaum. Lediglich ein Gedicht, das ein Jahr nach Ende des Bürgerkriegs entstand, mahnt an das Geschehene, und nur als Randthema taucht diese verlorengegangene Schlacht in seinem Roman Les Communistes auf.
Im folgenden soll versucht werden, die drei Weisen genauer zu beleuchten und zu analysieren, in denen sich Aragon mit dem Spanischen Bürgerkrieg auseinandersetzt .

a) Politische Aktionen und Stellungnahmen Aragons während des Krieges
Bereits seit Anfang der dreißiger Jahre war Aragon als führendes Mitglied der Vereinigung der revolutionären Schriftsteller und Künstler (A.E.A.R.) maßgeblich dabei, eine literarische Einheitsfront antifaschistischer Schriftsteller zu schaffen. Dieses Ziel wurde nie erreicht. Dennoch gab es mehrere große Manifestationen der vielbeschworenen Einheit und Solidarität. Vor allem als der Spanische Bürgerkrieg begann, den viele als Anfang der großen Auseinandersetzung mit dem Faschismus werteten, gehörte Aragon zu den Schriftstellern, die versuchten, den Kampf der Künstler zu organisieren und sie auf die richtige, das heißt kommunistische Seite zu ziehen. Weiter oben wurde bereits der 2. Internationale Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur erwähnt. An der Organisation des Kongresses nahm Aragon aktiv teil.
Auch andere Aktionen zur Unterstützung der Spanischen Republik wurden von ihm initiiert oder mitgestaltet.
Neben den organisatorischen Aufgaben, die er übernahm, fiel er während des Krieges vor allem durch Stellungnahmen in politischen Reden, Artikeln und Essays auf. Der Grundtenor dieser Schriften ist die Mahnung und Aufforderung an die Adresse Frankreichs und seiner Intelligenz, die Spanische Republik in ihrem Überlebenskampf zu unterstützen und in kommunistischem Sinne proletarische Solidarität zu üben.
Es gibt viele Zeugnisse für Aragons publizistische Tätigkeit zugunsten der Spanischen Republik: Artikel in Zeitungen oder Zeitschriften jener Jahre, Sonderdrucke und Geleitworte zu Ausstellungskatalogen. Alle Schriften treffen sich jedoch im selben Fluchtpunkt und ähneln sich in ihrer schriftstellerischen Ausführung. Aragons politische Stellungnahmen jener Jahre sollen hier anhand von drei Beispielen vorgestellt und analysiert werden. Die Ausführungen dieses Abschnitts konzentrieren sich auf die Zitate sowie die Ergebnisse der Untersuchungen, die Maryse Bertrand de Muñoz zu diesem Thema veröffentlichte.
Die wichtigste und aussagekräftigste politische Schrift Aragons zum Bürgerkrieg ist der bereits im November 1936 in der Zeitschrift Europe erschienene Artikel "Ne rêvez plus qu'à l'Espagne". Aragons Feder wird die eines politischen Agitators. Er zieht eine große Anzahl rhetorischer Register, um den Leser an den Text zu ziehen, mitzureißen und ihn davon zu überzeugen, daß die gerechte Sache auch die persönliche zu sein habe:
"[...] le grand peuple espagnol auquel chacun d'entre nous pense d'abord avec fièvre, lorsqu'il s'éveille en sursaut au milieu de la nuit, chaque nuit"
. Oft appelliert er in antithetischen Gegenüberstellungen an die Gefühle der Leser:
"Si elle [l'Espagne] saigne, c'est nous qui sommes frappés",
"Ce n'est plus une communauté de chaînes qui nous lie, c'est la fraternité des hommes libres" oder "J'ai parcouru jadis l'Espagne et j'en ai rapporté une image de misère et de beauté".
Unzählige Ausrufe lassen den Artikel zu einem flammenden Diskurs werden, der den harten Rhythmus politischer Reden teilt:
"Espagne! Espagne! Terre perpétuelle des rêves français!"
. Leicht erinnern die Ausrufe auch an religiöse Beschwörungsformeln, so zum Beispiel, wenn er die Führerin der spanischen Kommunisten, Dolores Ibarruri, La Pasionaria, grüßt, als ginge es darum, das Ave Maria anzustimmen:
"Salut à toi, Pasionaria, fleur de la Passion de ton peuple!".
Die Hymne auf die spanischen Frauen und die Pasionaria führt er fort, indem er seine Leser zunächst an die reiche französische Literatur gemahnt, die sich Spanien zum Thema gewählt hat. Hugo, Musset, Gautier, Mérimée und Baudelaire stehen ihm hierfür Zeuge:
"Chimène aujourd'hui n'est plus une princesse: nous nous souvenons qu'elle est femme devant les cadavres silencieux du cinéma chaque semaine".
Aragon fragt:
"[...] où est-elle aujourd'hui cette Lola de Valence? Quelle est sa leçon de beauté?"
und gibt selbst die Antwort: Sie ist dem Aufruf der Pasionaria
- "en qui s'incarnent et le pays de Cervantes et la classe ouvrière" -
gefolgt, um mit dem Gewehr in der Hand ihr Land zu verteidigen. Anders sieht es mit der französischen Regierung aus. Mit ihrer Untätigkeit gegenüber dem Konflikt geht Aragon hart ins Gericht. Lediglich die französischen Kommunisten lobt er, da diese im Namen des roten Banners die Brüderlichkeit zwischen den beiden Völkern mit Taten füllten:
"J'ai rêvé à l'alliance des trois couleurs espagnoles et des trois couleurs françaises qui ont en commun cette partie rouge qui est celle qui affronte la première le vent".
Der Artikel kulminiert in einem glühenden Appell an die französischen Schriftsteller und Künstler, sich dem Kampf Spaniens gegen den Faschismus anzuschließen:
"Je leur demande contre les hitlériens français, de faire une floraison bleu, blanc, violet, jaune et rouge, d'œuvres luttant pour la cause de l'Espagne"
und endet schließlich in einem leidenschaftlichen Aufruf, der die Kreuzzugsthese Francos aufgreift und umdreht:

"Je m'adresse à mes frères écrivains et artistes de France, à ceux qui sont les maîtres des mots, des sons et des couleurs, et je leur demande d'ouvrir de toute la force de leur génie, de toute la générosité de leur talent et de leur cœur, une croisade nouvelle, la croisade de la poésie et de l'art pour l'Espagne."

Im Jahr 1937 schreibt Aragon aus Anlaß einer Ausstellung antifaschistischer Künstler in Barcelona das Vorwort zum Ausstellungskatalog. Auch hier tauchen die Motive der französisch-spanischen Brüderlichkeit und der Hilfe der Künstler wieder auf:
"[Le mot Espagne] a cette amertume qui enivre, et des noms de villes qui étaient pour nous aînés de pittoresques et sonores ornements de leurs poèmes, des rimes pour Hugo, des effets pour Barrès, sont devenus la chair de notre chair"

In der Kunst zähle nun nur noch ihr Wert für den antifaschistischen Kampf:
"Formes et couleurs, la peinture ou la poésie vaudront par ce qui les aura faites part intégrante et saignante de nos combats".

Der Haß des Kommunisten Aragon gegen den Faschismus und der Glaube an die Kraft der Jugend, den Faschismus niederzuringen, kommen in einem anderen Artikel, der in einer anonymen Schrift im Jahr 1937 veröffentlicht worden ist, zum Ausdruck:
"Dans les rues de Barcelone, de Madrid ou de Valence, ce qui frappe avant tout c'est l'énorme quantité de jeunes que l'urgence de la République en danger a lancés dans le torrent meurtrier de la vie. La jeunesse semble avoir pris en mains la sauvegarde des grandes valeurs humaines. N'était-ce point elle qui veillait sur le palais du duc d'Alba et ses trésors artistiques, avant que le destructeur Franco, général du vieux monde et de la mort, y mit le feu avec les bombes et les avions d'Hitler et de Mussolini?"

Auch diese Lobeshymne an die Jugend läßt Aragon in einer beschwörenden Formel enden, die die religiösen Anklänge in ihrem Pathos kaum verhüllt:
"Des charniers épouvantables s'élève une jeune chanson. Et ce qu'elle nous dit avant tout, c'est un mot qui fait que les mains se serrent, que les foules grandissent, que la poignée des spoliateurs recule, le mot répété de nos meetings, le mot sacré, le verbe fait victoire: Unir! Unir! Unir!"
Die Schriften, die Aragon während des Spanischen Bürgerkriegs veröffentlichte, lassen sich eindeutig durch sein politisches Engagement jener Jahre erklären. Die Sehnsucht nach Einheit, die Aragon mit vielen seiner alten surrealistischen Freunde und anderen Kollegen teilte, ließ ihn zu einem überzeugten Kommunisten und Verteidiger der Sowjetunion werden. Aus dem Bewußtsein heraus, kurz vor einem Weltkrieg zu stehen, in dem sich der weltweite Kommunismus und die Sowjetunion zu bewähren haben, strotzte die Literatur kommunistischer Autoren bereits seit Mitte der dreißiger Jahre von kämpferischer Metaphorik und militärischem Geschrei.
So auch die Gedichte Aragons (als Beispiele soll hier nur auf Front Rouge und Hourra l'Oural! hingewiesen werden). Nur konsequent ist das anschließende Engagement während des Spanischen Bürgerkriegs. Der Beginn der großen und letzten Auseinandersetzung um die Weltrevolution wurde vermutet. Louis Aragons Tätigkeiten sollten helfen, die Front der antifaschistischen Schriftsteller noch enger zu schließen sowie an die KP und die Vorgaben aus der Sowjetunion zu binden. Aus jeder Äußerung geht dies hervor. Der exzessive Gebrauch militärischer Bilder und Metaphern fällt besonders auf.
Trotz der pathetischen Kampfbereitschaft, die seine Schriften ausdrücken, unterscheidet sich das Engagement Aragons grundlegend von dem eines André Malraux. Während Malraux, wie viele junge englische Dichter oder deutsche Exilschriftsteller, das Engagement in der zur Aktion gewordenen Poesie, das heißt auch im persönlichen Einsatz an der Front, sah, wurde bei Aragon die Kunst selbst zum Schlachtfeld, auf dem um die Revolution gerungen werden müsse.
Die Kunst ist ein weiteres Hauptmotiv, das in den Schriften Aragons zu beobachten ist. Politische Propaganda sind seine Äußerungen in erster Linie, das Publikum jedoch waren Schriftsteller und Künstler. Ihnen galt sein besonderes Augenmerk. Nahezu jeder Satz führt dem Leser vor, wie zentral die Künste und vor allem die Schriftstellerei auch im revolutionären Denken Aragons waren.
Auch daß Aragon in jenen Jahren ganz und gar der kommunistischen Idee verfallen war und den wahren revolutionären Weg darin sah, voll und ganz an die Richtigkeit, ja an die Unfehlbarkeit dessen zu glauben, was die kommunistische Partei und die Führung der Sowjetunion taten, sieht man in seinen Äußerungen zum Bürgerkrieg im Nachbarland. Seine Sprache strotzt vor Kampfwillen und revolutionärem Pathos, die Solidarität der Künstler und Schriftsteller mit dem spanischen Proletariat und der Spanischen Republik wird ununterbrochen angemahnt.

b) Der Spanische Bürgerkrieg in der Lyrik Aragons: Santa Espina
Neben den politischen Schriften, die Aragon während des Krieges veröffentlichte, liegen von ihm keine literarisch-künstlerischen Zeugnisse vor, was vor allem daran liegen mag, daß das Ende des Spanischen Bürgerkriegs dem Beginn des Zweiten Weltkriegs nur um einige Monate vorausging. Der Schock, den die Einnahme Madrids und das Ende des Bürgerkriegs zugunsten der Falangisten bei den Unterstützern der Republik im Ausland noch verursacht hatte, wich gerade in Frankreich schnell der Angst ums eigene Überleben und später der Trauer und Wut um die eigene Niederlage. Der Konflikt mit dem Faschismus war noch nicht beendet, und der Spanische Bürgerkrieg erschien nunmehr nur als verlorene Schlacht in einem größeren Krieg, der jetzt auf dem eigenen Territorium fortgeführt wurde.
Aragon reflektiert in den Gedichten des 1941 erschienen und von der französischen Öffentlichkeit enthusiastisch aufgenommenen Bandes Le Crève-cœur die Gemütslage vieler Franzosen nach der schnellen Niederlage gegen Deutschland. Neben der Trauerarbeit und der sich in einigen Gedichten ankündigenden Bereitschaft zum Widerstand blieb kaum Platz, sich der verlorenen Schlacht des Spanischen Bürgerkriegs zu erinnern.
Dennoch findet sich in Le Crève-cœur ein Gedicht, das an das Geschehene in Spanien, das auf nun so fatale Weise dem eigenen Schicksal zu gleichen schien, mahnt: "Santa Espina". Dieses Gedicht entstand den Aufzeichnungen Aragons zufolge im März 1940, also fast genau ein Jahr nach der Eroberung Madrids durch franquistische Truppen und dem Ende des Bürgerkriegs. Es entstand noch vor der deutschen Invasion in Frankreich.
Gemeinsam mit dem ihm vorangestellten Gedicht "Pergame en France", in dem Aragon das Schicksal der eroberten und zerstörten Stadt Troja mit dem der Stadt Paris im Ausdruck großer Trauer und Niedergeschlagenheit vergleicht, bildet es die poèmes d'outre-tombe. Es ist das einzige Stück aus Aragons lyrischem Werk, das sich explizit mit dem Spanischen Bürgerkrieg beschäftigt.


SANTA ESPINA

  • Je me souviens d'un air qu'on ne pouvait entendre
  • Sans que le cœur battît et le sang fût en feu
  • Sans que le feu reprît comme un cœur sous la cendre
  • Et l'on savait enfin pourquoi le ciel est bleu

  • Je me souviens d'un air pareil à l'air du large
  • D'un air pareil au cri des oiseaux migrateurs
  • Un air dont le sanglot semble porter en marge
  • La revanche de sel des mers sur leurs dompteurs

  • Je me souviens d'un air que l'on sifflait dans l'ombre
  • Dans les temps sans soleils ni chevaliers errants
  • Quand l'enfance pleurait et dans les catacombes
  • Rêvait un peuple pur à la mort des tyrans

  • Il portait dans son nom les épines sacrées
  • Qui font au front d'un dieu ses larmes de couleur
  • Et le chant dans la chair comme une barque ancrée
  • Ravivait sa blessure et rouvrait sa douleur

  • Personne n'eût osé lui donner des paroles
  • À cet air fredonnant tous les mots interdits
  • Univers ravagé d'anciennes véroles
  • Il était ton espoir et tes quatre jeudis

  • Je cherche vainement ses phrases déchirantes
  • Mais la terre n'a plus que des pleurs d'opéra
  • Il manque au souvenir de ses eaux murmurantes
  • L'appel de source en source au soir des ténoras

  • Ô Sainte Epine ô Sainte Epine recommence
  • On t'écoutait debout jadis t'en souviens-tu
  • Qui saurait aujourd'hui rénover ta romance
  • Rendre la voix aux bois chanteurs qui se sont tus

  • Je veux croire qu'il est encore des musiques
  • Au cœur mystérieux du pays que voilà
  • Les muets parleront et les paralytiques
  • Marcheront un beau jour au son de la cobla

  • Et l'on verra tomber du front du Fils de l'Homme
  • La couronne de sang symbole du malheur
  • Et l'Homme chantera tout haut cette fois comme
  • Si la vie était belle et l'aubépine en fleurs


    Übersetzung
    SANTA ESPINA

    1. Ich erinnere mich an eine Melodie, die zu hören nicht möglich war,
    2. Ohne daß das Herz pochte und das Blut wie Feuer loderte,
    3. Ohne daß das Feuer wieder aufflackerte wie ein Herz unter der Asche,
    4. Und endlich wußte man warum der Himmel blau ist.

    5. Ich erinnere mich an eine Melodie gleich der Luft des offenen Meeres,
    6. An eine Melodie gleich dem Schrei der Zugvögel,
    7. Eine Melodie, deren Schluchzer mit sich auch
    8. Die beißende Rache der Meere gegen ihre Bezwinger bringen.

    9. Ich erinnere mich an eine Melodie, die man im Schatten pfiff,
    10. In den Zeiten ohne Sonnen noch fahrende Ritter,
    11. Als die Kindheit weinte und in den Katakomben
    12. Ein reines Volk vom Tode der Tyrannen träumte.

    13. Sie barg in ihrem Namen die geheiligten Dornen,
    14. Die einem Gott auf die Stirne ihre farbigen Tränen zeichnen,
    15. Und der Gesang, verankert im Fleisch wie ein Boot,
    16. Belebte erneut ihre Wunde und öffnete wieder ihren Schmerz.

    17. Niemand hätte gewagt ihr Worte zu geben,
    18. Dieser Melodie, die all die verbotenen Wörter summte.
    19. Von alten Seuchen verwüstetes Universum,
    20. Sie war dein Glauben und deine unerfüllte Hoffnung.

    21. Vergeblich suche ich ihre aufwühlenden Sätze
    22. Aber die Erde besitzt nur mehr das Weinen der Oper.
    23. Es fehlt bei der Erinnerung an diese murmelnden Wasser
    24. Der Ruf von Quelle zu Quelle am Abend der Tenoras.

    25. O Sainte Epine, o Sainte Epine, beginne erneut!
    26. Wir hörten dir einst aufrecht zu, du wirst dich dran erinnern.
    27. Wer wüßte heutzutage deine Romanze wieder zu beleben,
    28. Zurückzugeben die Stimme den singenden Holzblasinstrumenten, die verstummten.

    29. Ich möchte dran glauben, daß es Lieder noch gibt
    30. Im geheimnisvollen Herzen des Landes, so daß
    31. Die Stummen sprechen werden und die Gelähmten
    32. Gehen werden eines schönen Tages zum Takt der Cobla,

    33. Und wir sehen werden, wie von der Stirn des Menschensohns fällt
    34. Die Krone des Blutes, Symbol des Elends.
    35. Und der Mensch wird laut singen dieses Mal als
    36. Wenn das Leben schön sei und der Weißdorn in Blüten aufgegangen.


  • Das Gedicht "Santa Espina" besteht aus neun je vierzeiligen Strophen. Der Aufbau des Gedichts aus Alexandrinern, die im Kreuzreim miteinander verschränkt sind, läßt eine rhythmische Struktur entstehen, die - verstärkt noch durch die inhaltlichen Aspekte - an einen Liedtext erinnert. Das Gedicht ist durch einen eher einfachen Sprachgebrauch geprägt, der dennoch nicht die inhaltliche Fülle an Bildern, Metaphern und Assoziationen, die an den Surrealisten Aragon erinnern, schmälert. Der Gebrauch stilistischer Mittel ist gezielt. Drei deutlich voneinander unterscheidbare Teile prägen das Gesamtbild des Gedichts.
    Es finden sich insgesamt recht wenig Klangfiguren: Einige Alliterationen ein- oder zweisilbiger Wortpaare unterstreichen den rhythmischen Charakter auch innerhalb der Verse (v. 2: fût en feu; v. 3: comme un cœur; v. 10: sans soleil; v. 12: peuple pur; v. 14: font au front). An manchen Stellen begegnet man einfachen Binnenreimen, wie in v. 2/3: battît-reprît oder in v. 11/12: pleurait-Rêvait und an anderer sogar dem Binnenreim eines Paares, das denselben Silbenbeginn hat: v. 16: Ravivait-rouvrait. Selbst ganze Wörter tauchen mehrmals in ein und derselben Strophe auf, so cœur und feu je zweimal in der ersten Strophe, air sogar viermal in der zweiten Strophe. Doch ebenso wie die Binnenreime sind auch die Wiederholungen in syntaktische Strukturen eingebettet, die diese Klangfiguren nutzen, um den Rhythmus des Textes und die Intensität der Melodie zu bestimmen. So bilden der zweite und der dritte Vers mit ihrem identischen syntaktischen Aufbau, verstärkt durch den gleichen Anfang Sans que le, dem Binnenreim, der durch das Paar der Prädikate battît-reprît entsteht, die über Kreuz verschränkte Wiederkehr von feu und cœur und die Alliterationen fût en feu und comme un cœur, eine Einheit, die einen getragenen, schweren Rhythmus erzwingt und somit die Intensität des nostalgischen Bildes, das sie übermittelt, noch unterstreicht. Diesem Zweck dient auch der Refrain, der die ersten drei Strophen einleitet. Aragon nutzt dieses Stilmittel, um einen gleichbleibenden Rhythmus, ähnlich den immer wiederkehrenden Gebetsformeln einer Litanei, in den Text zu legen. Anders jedoch als bei Gedichten wie etwa "Richard II Quarante", in dem dieser Takt durchgehalten wird, um einer andauernden profunden Trauer Ausdruck zu verleihen, wird dieser Rhythmus in "Santa Espina" aufgegeben. Die Anapher Je me souviens d'un air beherrscht lediglich die ersten drei Strophen. Auch die beiden folgenden Strophen ordnen sich noch in diesen getragenen, ersten Teil des Gedichtes ein. Ähnliche Klangbilder und syntaktische Strukturen finden sich hier (v. 14: font au front, v. 15: le chant dans la chair und v. 16: Ravivait sa blessure et rouvrait sa douleur). Weiterhin ist von der Melodie und ihrer Macht die Rede. Das Tempus der Erzählung ist das Imperfekt, das Ich erinnert sich an Vergangenes.
    Erst in den Versen 19/20 wird eine inhaltliche und formale Zäsur angekündigt: Es wird nicht mehr nur über die vermeintlich verlorene Melodie gesprochen, nun wird jemand im Hier und Jetzt angesprochen: Das Universum, v. 19: Univers ravagé d'anciennes véroles, v. 20: Il était ton espoir et tes quatre jeudis. Das Tempus ändert sich: Das Präsens dominiert. Von nun an sucht man die Klangfiguren und die lyrisch bearbeitete Syntax vergeblich. das Gedicht wird mit einer einfacheren Sprache und dem daraus resultierenden schnellen Rhythmus weitergetrieben. Wiederholungen, wie L'appel de source en source (v. 24), aber vor allem der einem Hilferuf gleichkommende Ausruf O Sainte Epine ô Sainte Epine (v. 25) und der nahezu beschwörende Appell, den die gesamte siebte Strophe darstellt, treiben das Tempo in die Höhe. Je näher das Ende rückt, um so schneller scheint der Rhythmus zu werden.
    Von der Trauer über den Verlust der Freiheit und ihrer Melodie, über die Suche nach der verlorengegangenen Freiheit bis hin zum zuversichtlichen Blick in die Zukunft steigert sich das Geschehen. Die letzten beiden Strophen werden von einer einfachen Sprache beherrscht, die nicht mit syntaktischen Finessen oder besonderen Klangfiguren, sondern in ausdrucksstarken Bildern und Metaphern die Zuversicht verkündet, die Melodie der Freiheit werde wieder erklingen. Die Bestimmtheit dieser Zuversicht wird durch den Gebrauch des Futur ausdrücklich unterstrichen.
    Das Gedicht beschreibt den Verlust eines Liedes, dessen Melodie und Text den Menschen die Freiheit versprachen. Am Ende obsiegt jedoch die Zuversicht, die Musik werde wieder erklingen, um selbst die Stummen zum Reden und die Gelähmten zum Tanzen zu bringen. Aragon verarbeitet hier aufs Neue das in seinem Werk so häufig auftauchende Thema der Freiheit.
    Der inhaltliche Aufbau des Gedichts besitzt eine klare Einteilung. Das Gedicht ist in drei Teile gegliedert. Selbst die formalen Aspekte entsprechen in ihrer Varietät, wie weiter oben bereits gezeigt wurde, diesem Schema. Die ersten fünf Strophen bilden den ersten Abschnitt, dessen wichtigste Aufgabe es ist, das verlorene Lied zu beschreiben. Zunächst ruft uns der Sprecher die Melodie ins Gedächtnis. Diese Melodie der Freiheit wird in den ersten beiden Strophen allegorisch dargestellt. Deutlich wird dies durch die benutzten Metaphern: Der blaue Himmel (v. 4), l'air du large (v. 5) oder der cri des oiseaux migrateurs (v. 6). Die dritte Strophe trägt uns in die Zeit, in der das Lied und die Menschen, die es lebendig erhielten, bedroht wurden und sich in den Katakomben versteckt halten mußten. Nur im Schatten konnte die Melodie gepfiffen werden. Die vierte und fünfte Strophe schließlich beschreiben die Macht des Textes, den das Lied hatte. Der zweite Abschnitt, den die sechste und siebte Strophe bilden, ändert den bisherigen Aufbau und Ton des Gedichts vollkommen: In einer nahezu schmucklosen Sprache wendet der Erzähler sich nun der Gegenwart zu. Text und Melodie sind verschwunden und scheinen verloren. Nur der direkte Appell, der beschwörende Hilferuf an das in seinem Namen personifizierte Lied mögen Abhilfe schaffen. Das Gedicht kulminiert schließlich in den letzten beiden Strophen. In einer gleichsam hellseherischen Vision sieht das Ich die Auferstehung der Melodie und das Freiwerden ihrer Kräfte, die Stumme zum Reden und Gelähmte zum Gehen bringen werde. Dieser letzte Abschnitt wird mit einem Ausruf eingeleitet, der sich geradezu trotzig gegen die Allmacht der gegenwärtigen Realität richtet: Je veux croire qu'il est encore des musiques (v. 29). Dem gleichen Zweck dient das hier verwendete Tempus, das Futur, das dem Ende die Ungewißheit eines Wunsches (Je veux croire) nimmt und die Sicherheit einer Zukunft in Freiheit gibt.
    Rasch fallen einige Metaphern auf, die religiöse Bezugspunkte zu haben scheinen (v. 13: épines sacrées; v. 14: Qui font au front d'un dieu ses larmes de couleur; v. 31/32: Les muets parleront et les paralytiques / Marcheront; v. 33/34: Et l'on verra tomber du front du Fils de l'Homme / La couronne de sang symbole du malheur). Einen direkten Bezug zu Spanien scheinen auf den ersten Blick nur die chevaliers errants (v. 10) zu bieten. Es ist von einer Zeit die Rede, in der es keine Fahrenden Ritter mehr gibt, man also gerade den Typus Ritter nicht mehr antrifft, der die spanische Literatur und die Literatur über Spanien als Topos für Spanien und den Spanier unbestritten beherrscht hat, seit der Ahnherr dieser Zunft, Don Quixote, durch das Ödland Zentralspaniens ritt.
    Doch wo liegt der eigentliche Verbindungshaken versteckt? Wenden wir uns zunächst noch einmal dem Titel zu: "Santa Espina", der heilige Dorn. Das Bild der heiligen Dornen taucht einmal namentlich (v. 13) und nur zum Schluß noch einmal im Bild der Dornenkrone (v. 34: couronne de sang symbole du malheur) auf. Die Vermutung liegt nahe, das Aragon hier einen anderen Bezug aufbaut, der außerhalb des eigentlichen Gedichts liegt. Von einem Lied der Freiheit und seinem Verlust ist die Rede. Doch nicht einfach die Freiheit besingt Aragon, auch wenn man das Gedicht so deuten kann. Der Titel führt uns auf eine andere Fährte, die den Zusammenhang mit dem Spanischen Bürgerkrieg deutlich werden läßt: Tatsächlich gibt es das Lied "La Santa Espina".
    "La Santa Espina" ist ursprünglich ein musikalisches Volksmärchen, das 1907 in Barcelona uraufgeführt wurde. Die Melodie zu diesem Stück stammt von Enric Morera i Viura (1872-1942), der Text von Àngel Guimerà i Jorge (1845-1924). Àngel Guimerà war seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine der beherrschenden Persönlichkeiten des aufstrebenden kulturellen Nationalismus in Katalonien. Die sogenannte Renaixença war eine romantische Strömung, die die literarische Produktion im Katalonien der Jahrhundertwende mit ihrer Suche nach nationalem katalanischen Erbe (dieses wurde vor allem im Mittelalter vermutet) und einer Rückbesinnung auf die eigene Sprache dominierte. Guimerà wurde bekannt durch seine Theaterstücke und Gedichte, aber auch durch seine Hingabe zum Katalanismus, die im Text zu "La Santa Espina" deutlich zu Tage tritt. Teil des Volksmärchens ist eine Sardana, ein katalanischer Volkstanz, der mit dem steigenden Bekenntnis zu kultureller Eigenständigkeit seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine neue Blüte in Katalonien erfahren hat. Diese Sardana aus "La Santa Espina" verselbständigte sich schnell. Der Text Guimeràs hatte das Stück zu einem politischen und bekennerischen Credo des katalanischen Nationalismus werden lassen, die sie bis zum heutigen Tage bewahrt hat. Bei manchen Anlässen übernimmt "La Santa Espina" nahezu die Rolle einer Nationalhymne Kataloniens.

    SANTA ESPINA

    1. Som i serem gent catalana
    2. tant si es vol com si no es vol,
    3. que no hi ha terra més ufana
    4. sota la capa del sol.

    5. Déu va passar-hi en primavera
    6. i tot cantava al seu pas,
    7. canta la terra encara entera
    8. i canta que cantaràs.

    9. Canta l'ocell, el riu, la planta;
    10. canta la lluna i el sol.
    11. Tot treballant la dona canta
    12. i canta al peu del bressol.

    13. Fill meu, per Catalunya
    14. vull veure't gran i fort;
    15. fes cara als qui la ultragin
    16. i per ella viu i mor.


    Übersetzung
    La Santa Espina

    1. Wir sind und bleiben Katalanen,
    2. Gleich, ob ihr es wollt oder nicht,
    3. Denn es gibt keine stolzere Erde
    4. Unter dem Mantel der Sonne.

    5. Gott kam mit dem Frühling her,
    6. Und alles sang zu seinem Schritt.
    7. Es singt die ganze Erde laut,
    8. Und alles singt, was singen kann.

    9. Es singt der Vogel, der Fluß, die Pflanze,
    10. Es singt der Mond und die Sonne.
    11. Beim Arbeiten singt die Frau,
    12. Und zum Schaukeln der Wiege.

    13. Mein Sohn, für Katalonien
    14. Will ich dich sehen groß und stark;
    15. Biete denen die Stirne, die es schänden
    16. Und für Katalonien lebe und sterbe!

    Wie im ersten Teil der Arbeit gezeigt wurde, war einer der historischen Konflikte, die im Bürgerkrieg gewalttätig aufbrachen, das Spannungsverhältnis zwischen spanisch-zentralistischem Nationalismus und den sogenannten peripheren Nationalismen Kataloniens und des Baskenlandes. Die Zweite Spanische Republik hatte sowohl für Katalonien als auch für das Baskenland Autonomiestatuten erlassen, um eine Selbstverwaltung in gewissem Rahmen zu ermöglichen und so den kulturellen und historischen Eigenheiten dieser Regionen Rechnung zu tragen. Der Feldzug Francos richtete sich von Beginn an auch gegen die Freiheitsrechte dieser Völker. Die faschistischen, aber auch die konservativen Kräfte, die Franco unterstützten und sich schließlich in der falangistischen Partei vereinigen sollten, hatten die Vision eines zentralistisch geführten und auch kulturell vereinheitlichten spanischen Staates. So ist es nicht verwunderlich, daß der baskische und der katalanische Widerstand gegen die franquistischen Truppen besonders vehement waren. Die totale Vernichtung der ungeschützten Stadt Guernica durch deutsche Flugzeuge der Legion Condor war ein gezielter Schlag gegen den baskischen Widerstandswillen: Guernica war die traditionelle Hauptstadt baskischer Selbstverwaltung. Der Bürgerkrieg endete erst mit der Eroberung Kataloniens.
    Als Ausdruck katalanischen Nationalstolzes sowie demokratisch-freiheitlichen Selbstbewußtseins wurde das öffentliche Aufführen der Sardana "La Santa Espina" nach Ende des Bürgerkriegs von der franquistischen Verwaltung verboten.
    Der inhaltliche Bezug erscheint überdeutlich: "La Santa Espina" begleitete ihr Volk als Glaube und unerfüllte Hoffnung (v. 20: ton espoir et tes quatre jeudis) in die Katakomben des Bürgerkriegs. Dort verliert das Lied zunächst seinen Text, dann - mit dem Ende des Bürgerkriegs - geht auch die Melodie verloren und lebt nur mehr als vage nostalgische Erinnerung weiter, die in sich aber doch das Versprechen birgt, sich der Zukunft zuversichtlich zuwenden zu können.
    Auch innerhalb des Textes hat Aragon eindeutige Bezüge zu dem Lied Guimeràs angelegt: Die ersten drei Strophen des Gedichts offenbaren schnell ihre inhaltliche Verwandtschaft zu dem Bild allgemeinen Singens, das "La Santa Espina" in der zweiten und dritten Strophe vermittelt. Deutlicher wird diese Beziehung noch in Vers 15: Et le chant dans la chair comme une barque ancrée. Der Gesang ist unbestreitbar das Hauptmotiv im Text der Sardana. Gleich acht Mal begegnet uns in den beiden mittleren Strophen das Verb cantar.
    Drei Bilder der Sardana übernimmt Aragon, transformiert sie aber so, daß sie den Schmerz des Krieges und den Verlust des Liedes übermitteln: Die Sonne, die im vierten Vers der Sardana noch ganz Katalonien mit ihrem Mantel bedeckt (deshalb vielleicht auch hier v. 4: Et l'on savait enfin pourquoi le ciel est bleu) und in der zehnten selbst singt, weicht bei Aragon dem Krieg: les temps sans soleils (v. 10). Die heiligen Dornen, die das Lied als Titel schmücken, geraten unversehens in die Rolle der Dornenkrone (v. 13: Il portait dans son nom les épines sacrées), die dem Gott, der in der Sardana noch freudigen Schrittes durch Katalonien eilt, aufgesetzt wird (v. 14: Qui font au front d'un dieu ses larmes de couleur). Erst in der letzten Strophe darf der Menschensohn an Rettung denken: Et l'on verra tomber du front du Fils de l'Homme / La couronne de sang symbole du malheur (v. 35/36). Und endlich lösen auch die Dornen sich - zu Blüten geworden - auf.
    Daß Aragon von einer Sardana und keinem anderen Lied spricht, soll noch an zwei unmißverständlichen Zeichen verdeutlicht werden: Die Sardana wurde als Ausdruck katalanischen Nationalbewußtseins im romantischen 19. Jahrhundert populär. In dieser Zeit bekamen sowohl die Musik als auch der Tanz eine genaue Form und bestimmte Regeln. Hier nur soviel: Die Musik zum Tanz wird von einer Gruppe, der cobla, aufgeführt, in der elf Instrumente vertreten sein müssen. Eines der typischen Instrumente, das außerhalb Kataloniens keine Verwendung findet, ist die tenora. Die tenora ist ein Blasinstrument, das ähnlich wie eine Oboe funktioniert. Sowohl die cobla (v. 32) als auch die tenora (v. 24) begegnen uns in "Santa Espina".
    Wären die Bezüge zum Spanischen Bürgerkrieg nicht so deutlich, man könnte "Santa Espina" auch für eines der Gedichte aus "Le Crève-cœur" halten, die die französische Niederlage und den Verlust der Freiheit in Frankreich betrauern. Doch "Santa Espina" entstand im März des Jahres 1940, vor Beginn der deutschen Invasion. Erst im Sommer sollte das Schicksal, das Spanien ein Jahr zuvor ereilt hatte, auch Frankreich auf so grausame Weise treffen.


    c) Der Spanische Bürgerkrieg im Prosawerk Aragons: Les Communistes
    Auch im Prosawerk Aragons begegnet uns das Thema Spanischer Bürgerkrieg kaum. Lediglich als Randthema seines mehrbändigen Werkes Les Communistes verarbeitet der Schriftsteller Ereignisse, die einen direkten Bezug zum Bürgerkrieg aufweisen.
    Der Roman entstand in den Jahren 1949 bis 1951. Die Handlung der Erzählung entwickelt sich in einem zeitlichen Rahmen, der mit dem Februar des Jahres 1939 beginnt und im Juni 1940 endet. Aragon versuchte mit diesem Roman den inhaltlichen und stilistischen Idealen des sozialistischen Realismus genüge zu tun. In einem realisierenden Stil und vor dem Hintergrund historischer Begebenheiten entwickelt er ein ideales Bild französischer Kommunisten und beschreibt deren Kämpfe und Nöte in der Zeit zwischen dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs und dem Waffenstillstand zwischen Frankreich und Deutschland.
    Der Spanische Bürgerkrieg scheint nur ein Randthema zu sein. Les Communistes beginnt in dem Moment, in dem der Krieg im Nachbarland endet. Spanische Republikaner flüchten über die Grenze nach Frankreich. Die Hauptfigur des Romans, der überzeugte Kommunist und Lehrer Pierre Cormeilles, fährt zur Grenze, um den Flüchtlingen Beistand zu leisten. In dieser Situation ist Cormeilles sehr wahrscheinlich eine Figur, in der Aragon autobiographische Aspekte aufarbeitet: Er selbst war 1939 an die spanische Grenze geeilt, um die Flüchtenden in Empfang zu nehmen.
    "Depuis cinq jours, par les brèches du pays, le flot sombre des vaincus, un peuple portant dans ses yeux la révolte de la défaite et l'étonnement du destin, déferlait à travers les Pyrénées-Orientales, mal endigué, brutalement acceuilli par les soldats et les gendarmes, où il ne croyait rencontrer que le deuil, et la générosité française, depuis cinq jours, par toutes les routes, à pied, sur des charrettes, dans des camions bondés, avec l'entassement des pauvres choses emportées, les vestiges pitoyables d'une vie lointaine et balayée, depuis cinq jours, dans le désordre et la surprise d'une administration débordée qui n'avait rien prévu, ni cette invasion du malheur ni les femmes tombant d'épuisement sur les routes ni les vieillards mourant de leur belle mort dans la boue ni les enfants perdus qu'on retrouvait partout dans la campagne..."

    So beginnt der Roman. Im weiteren Verlauf rettet Cormeilles einen Franzosen, der in Spanien gekämpft hatte. In allen Bänden des Werkes taucht der Spanische Bürgerkrieg auf, sei es durch Personen, die an ihm teilgenommen hatten, sei es durch Bemerkungen der handelnden Personen.
    Trotz der spärlichen Auslese, die man erntet, wenn man in Les Communistes nach dem Thema des Spanischen Bürgerkriegs sucht, läßt sich die These verteidigen, Spanien sei nicht nur ein bloßes Randthema, sondern mehr für diesen Roman, nämlich eine "parahistoire de la France".
    Der verlorene Bürgerkrieg steht wie ein glühendes Mahnmahl hinter den Geschehnissen des Romans. Die guten Kommunisten arbeiten und kämpfen in Frankreich für die Weltrevolution, wissen jedoch noch nicht, daß ihr Schicksal bald dem der spanischen Republikaner gleichen wird. Aragon nutzt die Parallelität der Ereignisse. Das Schicksal Spaniens ist gleichsam die Zukunft Frankreichs. Der dort nun herrschende Faschismus ist das Schreckbild. Das Mahnmal Spanien leuchtet für den nachgeborenen Leser durch jede Zeile. Die Zukunft der Vergangenheit wird wieder die Vergangenheit sein.
    Es ist interessant zu beobachten, wie sich selbst die Bilder gleichen, die Aragon einsetzt, wenn er das spanische und das französische Schicksal beschreibt. So erinnert die Eingangssequenz von Les Communistes unwillkürlich an das Bild allgemeiner Flucht, das Aragon in seinem Gedicht "Les lilas et les roses" in dem Band Le Crève-cœur beschreibt. Spanische Republikaner und französische Soldaten werden eins auf der Flucht vor dem Faschismus.
    Explizit wird diese Einheit im letzten Band des Romans gemacht: Cormeilles begegnet Raoul Blanchard, dem Spanienkämpfer, den er einst rettete, an der Front in Dünkirchen wieder.
    "Cormeilles s'étonne. Comme cette Espagne le suit! Faut-il donc qu'ils se retrouvent aujourd'hui, tous deux? précisément à cet autre seuil de France, à l'autre bout, avec tous les développements tragiques de la « non-intervention » jusqu'à ceci... « Nous croyions alors, - dit-il, - que c'était le sort de l'Espagne qui se jouait, quand c'était celui de la France..."

    IV. Schlußbetrachtung

    In der Zeit vom 12. Juli 1996 bemerkt Fritz J. Raddatz zu Louis Aragon lapidar: "Der Dichter bekämpfte den Faschismus auch später in der Résistance. Über den Spanienkrieg veröffentlichte er nichts."
    Diese Behauptung kann nach der vorliegenden Untersuchung nicht unwidersprochen im Raum stehen bleiben. Louis Aragon hat über der Spanischen Bürgerkrieg geschrieben!
    Drei deutlich voneinander unterscheidbare Ebenen eröffnen sich, wenn man die Schriften Louis Aragons zum Spanischen Bürgerkrieg untersucht. Während des Krieges waren es ausschließlich politische Schriften, die Aragon veröffentlichte. Er übernahm als überzeugtes Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs die Aufgabe des Agitators. Mit revolutionärem Pathos versuchte er, seine Freunde und Kollegen davon zu überzeugen, eine einheitliche, kommunistische Front zu schaffen, um dem spanischen Volk in der Abwehr gegen den Faschismus beizustehen. Erst ein Jahr nach Ende des Bürgerkriegs - kurz vor Beginn des deutschen Angriffs auf Frankreich - verarbeitet der Autor seine Gedanken zu einem Gedicht und erst nach Ende des zweiten Weltkriegs taucht der Spanische Bürgerkrieg in einem Roman Aragons als Thema wieder auf.
    Drei unterschiedliche historische und persönliche Situationen, drei unterschiedliche Arten, das Thema des Spanischen Bürgerkriegs zu verarbeiten, und drei unterschiedliche Ausdrucksformen!
    In einen Fluchtpunkt trifft sich jedoch alles, was Aragon über den Spanienkrieg veröffentlichte - ein Motiv steht immer im Mittelpunkt: Die Freiheit. Die Freiheit und ihre Bedrohung in Spanien werden Universalien. Das Schicksal Spaniens wird zu einem Gleichnis des französischen Schicksals. Nahezu parallel - nur zeitlich verschoben - erschienen die Ereignisse den Zeitgenossen. Bereits in seinen politischen Schriften während des Bürgerkrieges betonte Aragon die Verwandtschaft beider Länder und ihrer Schicksale. Die verlorene Freiheit, der in Santa Espina nachgetrauert wird, ist derselbe Verlust, der Frankreich zu drohen schien; das Los Spaniens, das wie ein übergroßes schauerliches Mahnmahl im Hintergrund des Romans Les Communistes ständig präsent ist, ist das Los, das am Ende des Romans auch Frankreich ereilt.
    Wir befinden uns mit allen Schriften, die Aragon zu diesem Themenkomplex veröffentlichte, in einer Phase seines Schaffens, in der er an die Verheißungen der kommunistischen Bewegung glaubte. Das Motiv individueller, persönlicher Freiheit tritt hinter einem Ideal solidarischer sozialistischer Freiheit zurück. Trotzdem finden wir uns hier in einer der wichtigsten Schaffensphasen seines Lebens wieder. Gerade der Glaube an eine universelle, Einigkeit und Freiheit versprechende Verheißung und das Bewußtsein der Bedrohung hat eine große Literatur geschaffen, die selbst uns Heutige noch in ihren Bann zu schlagen vermag.

    V. Literaturverzeichnis

    1. Primärliteratur

    Aragon, Louis (1936),
    "Ne rêvez plus qu'à l'Espagne", in: Europe 42, 15 November 1936, S. 353-361.
    Ders., (1937a),
    "Préface", in: Espagne, 1936-37. No pasarán! Hrsg. v. U.G.T. und P.S.U., Barcelona.
    Ders., (1937b),
    Vivre libre ou mourir en combattant. Les glorieux exploits de la jeunesse espagnole et de la colonne internationale, Paris: Éditions de la Jeunesse.
    Ders., (1941):
    Le Crève-coeur. Paris: Gallimard, hier verwendet: Neudruck von 1966 der Ausgabe von 1946.
    Ders., (1949-1951):
    Les Communistes, hier verwendet: Paris: Le livre de poche 1967, Ausgabe in 4 Bänden.
    2. Sekundärliteratur
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    France and the Spanish Civil War. Columbia: Phil. Diss. Columbia University.
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    "El contexto europeo: intervención y no intervención", in: La Guerra Civil. Una nueva visión del conflicto que dividió España, hrsg. v. Stanley Payne und Javier Tusell, Madrid: Ediciones temas de hoy, S. 267-332.
    Babilas, Wolfgang (1971),
    "Louis Aragon", in: Französische Literatur der Gegenwart in Einzeldarstellungen, hrsg. v. Wolf-Dieter Lange, Stuttgart: Alfred Kröner-Verlag, S. 78-112.
    Bernecker, Walther L. (1990):
    Sozialgeschichte Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert. Vom Ancien Régime zur Parlamentarischen Monarchie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
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    Krieg in Spanien 1936-1939. Darmstadt: WBG.
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    "Histoire et littérature révolutionnaire. Le traitement paratextuel de la guerre d'Espagne chez Drieu la Rochelle (Gilles) et chez Louis Aragon (Les Communistes), in: Littérature et Révolutions en France, hrsg v. G.T Harris und R.M. Wetherill, Amsterdam: Rodopi, S. 227-236.
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    David Wingeate (1975):
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    Raddatz, Fritz J. (1996):
    "Mit Gewehr und Feder", in: Die Zeit, Nr. 29 vom 12.7.1996, S. 9-11.
    Schmigalle, Günther (1996):
    "Spanischer Bürgerkrieg: Die Heuler des Herrn Raddatz", in: Tranvía 42 (September 1996), S. 6-9.
    Schober, Rita (1985):
    Louis Aragon. Von der Suche der Dichtung nach Erkenntnis der Welt. Berlin: Akademie-Verlag.
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    Vilà i Folch, Joaquim (1995):
    "La Dansa: Un símbol perdut, o un símbol retrobat?", in: L'Avenç 193 (1995), S. 20-25.
    Mühlen, Patrik von (1985):
    Spanien war ihre Hoffnung. Die deutsche Linke im Spanischen Bürgerkrieg 1936-1939. Bonn: J.H.W. Dietz.

    22.08.1997


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    Der Spanische Bürgerkrieg ist auf zahlreichen Websites dokumentiert. Einige Links habe ich bereits in den Text von Armando García-Schmidt hineingelegt. Hier eine Liste mit weiteren Links (siehe auch Altavista):

    W.B.



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