Forschungsprojekte von Dr. Michael Hecht
Die Dynastie der Askanier in der Frühen Neuzeit
In der Literatur (nicht nur) zur anhaltischen Geschichte wird häufig der Eindruck erweckt, fürstliche Dynastien seien quasi natürliche Verwandtschaftsverbände, die im Wesen unverändert über mehrere Jahrhunderte als Akteure hervorgetreten seien. Demgegenüber hat die kulturanthropologisch orientierte Verwandtschaftsforschung auf die soziale Konstruiertheit von „kinship“ aufmerksam gemacht und betont, dass sich Verwandtschaftsverbände über Normen und Praktiken konstituierten, die historisch wandelbar sind. Die Geschichtswissenschaft hat in den letzten Jahren anhand zahlreicher fürstlicher Dynastien gezeigt, wie im 15. und 16. Jahrhundert neue Konzepte von Abstammung und Verwandtschaft entstanden und – z.B. über Chronistik und Heraldik – Verbreitung fanden. Über die Aneignung dieser Ideen durch die Fürsten selbst und über ihre Umsetzung in Praktiken von Verwandtschaft und Herrschaft in der nachfolgenden Zeit weiß man allerdingt viel weniger. Ziel des Projekts ist es, am Beispiel der Askanier (Fürsten von Anhalt) danach zu fragen, wie in einer kleinräumigen, jedoch durch zahlreiche Linienteilungen geprägten Landesherrschaft dynastische Einheit hergestellt und bewahrt werden konnte. In den Blick geraten dabei neben historiografischen Selbstvergewisserungen und konnubialen Strategien vor allem solche Instrumente wie das Seniorat und die Einführung der Primogenitur, die dem Zusammenhalt diesen sollten, jedoch auch mit zahlreichen Konflikten verbunden waren. Dies verweist nicht zuletzt auf die Dynamiken, die in der Frühen Neuzeit bei der Formierung und Gestaltung von Dynastie als Sozialformation nachweisbar sind und die auch über das Fallbeispiel hinaus Einblicke in die sich wandelnde Verbindung von Verwandtschaft und Herrschaft bieten.
Literatur: Michael Hecht, Anhalt und die Dynastie der Askanier in der Frühen Neuzeit, in: Auf dem Weg zu einer Geschichte Anhalts. Wissenschaftliches Kolloquium zur 800-Jahrfeier des Landes Anhalt, Köthen 2012, S. 91-106.
Fahnenweihen – zur Dynamik religiös-politischer Verflechtung in der Sattelzeit (1750–1850)
Fahnenweihen, d.h. die Sakralisierung von Fahnen durch Geistliche im Rahmen einer Gottesdienstfeier mit spezieller Predigt, gehörten im frühneuzeitlichen Militär zu den gängigen Ritualen, erlebten jedoch im Übergang zur Moderne eine weitere Verbreitung und Popularisierung. Vor allem in den „Befreiungskriegen“ 1813–1815 und während der Revolutionsjahre 1848/49 waren entsprechende Weihefeiern von militärischen Einheiten und zivilen Ordnungsformationen (Landwehr, Freikorps, Bürgerwehren) eng mit der politischen Selbstvergewisserung und der öffentlichen Inszenierung politisch-gesellschaftlicher Werte verbunden. Das Projekt fragt – in einem Regionalvergleich – nach der Verflechtung religiöser und politischer Konzepte in den Fahnenweihen und ihrer Veränderung während der Sattelzeit. Dabei ist die Verbindung ritual- und diskursgeschichtlicher Perspektiven intendiert: In den Blick genommen werden die Weihefeiern als Formen symbolischer Sinnstiftung sowie die Weihepredigten der Geistlichen als Medien der Vermittlung religiöser und politischer Überzeugungen.
Das Projekt wird als Teilprojekt B3-18 im Exzellenzcluster 2060 „Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation“ gefördert.
Hungerkrisen und Teuerungsproteste im 18. und 19. Jahrhundert
Durch Missernten verursachte Nahrungsverknappung und Teuerungskrisen waren in der Vormoderne häufige Erscheinungen. Vor allem in der „Sattelzeit“ reagierte die lokale Bevölkerung während solcher Krisenperioden zunehmend mit Protest, der sich in Markttumulten, Plünderungen, Speicherrevisionen und Exportblockaden äußerte. Das Jahr 1847 bildete den Höhepunkt des Nahrungsprotests in Deutschland. In einem Forschungsprojekt an der Universität Halle-Wittenberg wurde zunächst mit der preußischen Provinz Sachsen und den anhaltischen Herzogtümern eine Schwerpunktregion der Teuerungsunruhen näher untersucht. Gemeinsam mit Christina Benninghaus, Andreas de Boor, Uwe Kiel, Andreas Petter und Editha Ulrich wurden Geographie und Chronologie der Revolten, Geschlechterrollen und Ziele der Akteure, obrigkeitliches Krisenmanagement und stadtbürgerliche Wohlfahrtspolitik erforscht. Ein zweiter Schritt folgte mit der Einbeziehung von französischen Vergleichsregionen in die Untersuchung, denn der Vergleich ermöglichte eine genauere Konturierung der lokalen, regionalen und staatlichen Bedingungsfaktoren der Unruhen. Derzeit in Vorbereitung ist ein Themenband der „Westfälischen Forschungen“, der sich mit Hunger, Nahrungsmangel und Protest in regionaler Perspektive (vornehmlich in Westfalen, aber auch darüber hinaus) zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert beschäftigt.
Literatur: Michael Hecht, Nahrungsmangel und Protest. Teuerungsunruhen in Frankreich und Preußen in den Jahren 1846/47, Halle 2004.
Geschichte der Genealogie in Vormoderne und Moderne: Forschungspraktiken, Wissensfelder, Deutungsweisen
In der Geschichtswissenschaft hat die Rezeption kulturwissenschaftlicher Theorien und Ansätze in den letzten Jahren zu einem neuen Verständnis von Verwandtschaft als Forschungsgegenstand geführt. Genealogie wird in diesem Zusammenhang nun nicht mehr (nur) als „hilfswissenschaftliche“ Methode der objektiven Rekonstruktion von Verwandtschaftsbeziehungen, sondern als dynamische kulturelle Praxis verstanden, die selbst erklärungsbedürftig ist und historisiert werden muss. Eine Geschichte der Genealogie steht dabei vor mehreren Herausforderungen: Zum einen ist die Verschränkung und gegenseitige Beeinflussung gelehrter Diskurse und populärer Praktiken zu betrachten. Zum anderen bewegte sich genealogisches Denken und genealogisches Forschen im Grenzbereich verschiedener Disziplinen und wurde als Wissensfeld in den historischen, medizinischen, rechts-, sozial- und naturwissenschaftlichen Fächern genutzt. Ziel des Forschungsprojekts ist es, die Entwicklung von Genealogie in der langen Dauer vom späten Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert in den Blick zu nehmen. Der besondere Fokus liegt dabei auf den sich wandelnden Evidenzproduktionen, Funktionalisierungen und Medialisierungen von Genealogie.
Die Chroniken des Hermann Zelion gen. Brandis (1612–1676) zur Geschichte von Stadt und Saline Werl: Edition – Kommentar – Kontext
Hermann Brandis (1612–1676), Bürgermeister der Kleinstadt Werl im kurkölnischen Herzogtum Westfalen, hinterließ eine Vielzahl historiografischer Schriften, in denen das Alter seiner Heimatstadt und die Privilegien der so genannten Erbsälzer ausführlich hergeleitet und begründet wurden. Während seine kurze „Historie der Stadt Werl“ im Jahr 1857 von Johann Suibert Seibertz ediert wurde, liegen die übrigen Schriften des Brandis bislang nicht im Druck vor. Eine der wichtigsten und die zugleich umfangreichste seiner Chroniken, der „Gründtliche Bericht und Deduction-Schrifft das Saltzwerck zu Werle betreffent“, steht im Mittelpunkt des Editionsvorhabens, das im Rahmen eines mehrsemestriges Projektseminars im April 2010 begonnen wurde. Ziel ist es, den Text auf Grundlage einer vierbändigen Handschrift aus dem Jahr 1671, die im Stadtarchiv Werl aufbewahrt wird, zu transkribieren, zu kommentieren und in den historischen Kontext einzuordnen. Das Editionsprojekt wird in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Textedition und Kommentierung (ZETEK) durchgeführt.
Netzwerk vormoderne Stadtgeschichte
Einer Initiative des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster und des Forums Mittelalter an der Universität Regensburg folgend, konstituierte sich im Dezember 2009 in Münster das Netzwerk „Vormoderne Stadtgeschichte“. Das Netzwerk ist ein Verbund von Nachwuchswissenschaftlern (Mediävisten, Frühneuzeithistorikern, Kunsthistorikern und Archäologen), die einen Schwerpunkt im Bereich der vormodernen Städteforschung besitzen. Ziel der gemeinsamen Arbeit ist es, einerseits im interdisziplinären Gespräch den Nutzen diverser Theorieangebote für stadtgeschichtliche Themenfelder (u.a. soziale Gruppen der Stadt, Bilder der Stadt, Stadt im Raum) zu erproben, andererseits verschiedene Quellen für solche Themen in verbindender Perspektive zu erschließen und zu edieren. Zu weiteren Informationen zu den Mitgliedern, Veranstaltungen und Plänen des Netzwerks führt folgender Link.
Abgeschlossene Projekte
Ahnenproben als soziale Phänomene des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit
Ahnenproben, d.h. Nachweise standesgemäßer Abstammung in väterlicher und mütterlicher Linie bis zu einer bestimmten Vorfahrengeneration, waren weitverbreitete Selektionsmittel der Vormoderne. Für die Zulassung zum Turnier, beim Eintritt in exklusive Korporationen (Domkapitel, Ritterorden), beim Zugang zu gewissen Hofämtern, bei der Aufnahme in städtische Zünfte sowie in anderen Kontexten wurde häufig die Vorlage einer beeideten Ahnentafel verlangt. Heraldische Darstellungen von Ahnenproben finden sich darüber hinaus auf Grabdenkmälern, Porträts, alltäglichen Gebrauchsgegenständen und an Bauwerken. Während sich die bisherige (vor allem genealogische) Forschung meist lediglich für die „Korrektheit“ der Abstammungsnachweise interessierte, richtet sich das Interesse nun auf die kommunikative Praxis der Ahnenproben, das heißt auf die Bedingungen ihres Zustandekommens, auf ihre Funktion in Einsetzungsritualen und auf die damit verbundene Durchsetzung ständischer Geltungsbehauptungen. In dem gemeinsam mit Elizabeth Harding (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel) verfolgten Projekt wird zudem gefragt, welche Rolle den Ahnenproben bei der Generierung verwandtschaftlicher Wissensordnungen und beim Prozess der Verrechtlichung von Ständekonzepten zugekommen ist.
Literatur: Elizabeth Harding und Michael Hecht (Hg.), Die Ahnenprobe in der Vormoderne. Selektion – Initiation – Repräsentation, Münster 2011.
„Patriziatsbildung“ in den Salzstädten Lüneburg, Halle und Werl, 15.–18. Jahrhundert (Promotionsprojekt, abgeschlossen 2008)
Das „Patriziat“ in der vormodernen Stadt stellte eine Gruppe dar, die von Historikern zumeist über die Kriterien der privilegierten Beteiligung am Stadtregiment, des ökonomischen Reichtums und der sozialen Abschließung zu identifizieren gesucht wurde. Allerdings war in der Frühen Neuzeit durchaus nicht immer klar, wer als „Patrizier“ gelten könne. „Patriziatsbildung“ kann daher kaum adäquat als teleologischer Prozess der Verfestigung oder Abschottung verstanden werden, sondern viel eher als eine stetige Hervorbringung von Ordnungsvorstellungen und Verteidigung von Geltungsansprüchen, zum Ausdruck gebracht in symbolischen Praktiken der Integration und Distinktion, die von Ort zu Ort verschieden aussahen und sich im Laufe der Zeit wandelten. Die Dissertation widmet sich den „Konstruktionsprinzipen“ des so genannten Salzpatriziats in Lüneburg, Halle und Werl, das in den Korporationen der Siedeberechtigten (Sülfmeister, Pfänner, Erbsälzer) eine organisatorische Basis besaß. Mit Hilfe der Institutionentheorie Karl-Siegbert Rehbergs, die auf die symbolische Darstellung von Ordnungsprinzipen als institutionelle Mechanismen verweist, sowie einiger benachbarter Forschungsansätze wird der „patrizischen“ Selbstkonzeptualisierung und Gemeinschaftsbildung im ausgehenden Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nachgespürt. In der empirischen Analyse stehen die erinnerten „Eigengeschichten“ (Historiographie, genealogische Kontinuitätsfiktionen), die Initiationsrituale (Belehnung, Aufschwörung, „Kopefahrt“), die Zulassungs- und Rangkonflikte, die „Erkennungszeichen“ (Kleidung, Titel, Wappen usw.) sowie die um „Nobilität“ kreisenden Diskurse und Praktiken im Zentrum. Symbolisierungen und Sinnkonstruktionen werden zudem mit der Erforschung der korporativen und ökonomischen Strukturen verbunden. Es ergibt sich ein komplexes und von Stadt zu Stadt sehr unterschiedliches Bild des vormodernen „Salzpatriziats“.
Literatur: Patriziatsbildung als kommunikativer Prozess. Die Salzstädte Lüneburg, Halle und Werl in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Köln u. a. 2010 (=Städteforschung, A79).
Hof und Herrschaft der Fürsten von Anhalt im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit
Die Erforschung frühmoderner Staatsbildung sowie die Hof- und Residenzenforschung haben in der Geschichtswissenschaft Konjunktur, dennoch fehlen - bis auf wenige Ausnahmen - neuere Arbeiten zu Hof und Herrschaft der anhaltischen Fürsten. Obwohl die Anhaltiner im 14. und 15. Jahrhundert ein im Hochadel eher minderbedeutendes Geschlecht darstellten, dessen Zugehörigkeit zum Reichsfürstenstand durchaus gefährdet war, gelang ihnen im 16. Jahrhundert der Anschluss an die größeren Nachbardynastien und damit eine Stabilisierung ihrer Rangposition. Unter den Prämissen neuerer Überlegungen in der Geschichtswissenschaft zu Herrschaftslegitimierung, fürstlicher Repräsentation und symbolischer Kommunikation werden daher die Ausdifferenzierung des Hofes sowie die dynastische Erinnerungsstiftung der Fürsten von Anhalt untersucht. Mittelfristig geplant ist die Einbeziehung von Vergleichsbeispielen aus westfälischen Territorien.
Literatur: Werner Freitag und Michael Hecht (Hg.), Die Fürsten von Anhalt. Herrschaftssymbolik, dynastische Vernunft und politische Konzepte in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Halle 2003.