Vertrauen ist der Anfang von allem
Von den Vorteilen und Herausforderungen internationaler Forschungs-Zusammenarbeit
Kluge Köpfe gibt es überall auf der Welt. Das macht auch die Forschung grenzenlos. Immer häufiger arbeiten Wissenschaftler, Doktoranden und Studenten deshalb in internationalen Teams – auch an der Universität Münster. Im deutsch-chinesischen Transregio-Sonderforschungsbereich "Multilevel Molecular Assemblies: Structure, Dynamics and Function" (TRR 61) etwa, oder im deutsch-indischen Graduiertenkolleg "Molecular and Cellular Glyco-Sciences" (MCGS). Für die Teams ist die internationale Zusammenarbeit eine große Chance – aber auch eine große Herausforderung.
Die sprachliche Verständigung ist noch das kleinste Problem, weiß Prof. Bruno Moerschbacher, münsterscher Sprecher des MCGS-Graduiertenkollegs. In den Labors arbeiten deutsche und indische Doktoranden aus der Biologie, Chemie, Pharmazie und Medizin eng zusammen. "Das funktioniert meistens auch sehr gut, aber anfangs sind wir über kulturelle Unterschiede gestolpert", sagt der Biotechnologe und liefert gleich ein Beispiel: das Teamwork. "Deutsche und Inder haben ein grundlegend anderes Verständnis davon." Während Teamwork für Inder bedeutet, dass einer sagt, was zu tun ist und die anderen es ausführen, erwarten Deutsche, dass sich alle eigenverantwortlich einbringen. "Lange Zeit haben wir nicht gewusst, warum es in den Gruppen nicht rund lief. Bis wir ein interkulturelles Training besucht haben, bei dem die Unterschiede herausgearbeitet wurden." Das Seminar habe allen geholfen, Verständnis füreinander zu entwickeln. "Es hatte sich danach regelrecht ein Knoten gelöst", beschreibt er die positiven Veränderungen.
Prof. Bruno Moerschbacher
Mittlerweile ist er sicher, dass sich die deutschen und indischen Doktoranden mit ihren Fähigkeiten gut ergänzen. "In Deutschland ist das Ausbildungsniveau zwar höher, den indischen Doktoranden fehlt es zunächst vor allem an praktischer Erfahrung mit der Laborarbeit, aber sie sind viel motivierter als die Deutschen. Die haben einen regelrechten Hunger nach Wissen, denn sie wissen wie wichtig eine Promotion für ihren weiteren Lebensweg ist", erklärt Bruno Moerschbacher. Diese Begeisterung übertrage sich schnell auf die Deutschen. „So profitieren alle von der Zusammenarbeit.“ Damit die Teams an den Universitäten Münster und Hyderabad noch enger zusammenwachsen, planen die Verantwortlichen, einmal im Jahr eine Sommerschule in Münster und eine Winterschule in Hyderabad abzuhalten. „Der Wissensaustausch funktioniert schon jetzt sehr gut, wird dadurch aber sicher noch verbessert“, sagt Bruno Moerschbacher.
Von Steffen Kanzler gäbe es für diese Verfahrensweisen sicher Bestnoten. Der Wirtschaftschemiker promoviert als Stipendiat beim TRR 61 und erforscht dabei Erfolgsfaktoren und Barrieren für die interkulturelle Zusammenarbeit. Durch Experimente, Befragungen und Interviews hat er herausgefunden, welche Maßnahmen für die Arbeit in solchen Teams hilfreich sind. "Ein ständiger Austausch ist besonders wichtig", weiß er. Im TRR 61 passiert das über Videokonferenzen und Skype, aber auch bei regelmäßigen Treffen. "Der Austausch bewirkt, dass Vertrauen aufgebaut wird", erklärt Steffen Kanzler. "So wird die Angst, durch die Preisgabe seines Wissens Macht einzubüßen, verringert." Diese Furcht sei übrigens bei den Deutschen ausgeprägter gewesen als bei den Chinesen. "Das haben meine Interviews gezeigt. Trotzdem sind Wissenschaftler eher bereit ihr Wissen innerhalb von Forschungsverbünden zu teilen, als mit Externen oder Dritten."
"Schwierig wird es, wenn sich zwei Teams auf dasselbe Thema spezialisieren"
Steffen Kanzler
Prof. Jens Leker ist der Doktorvater von Steffen Kanzler. Der Professor am Institut für Betriebswirtschaftslehre im Fachbereich Chemie und Pharmazie weiß, dass eine erfolgreiche interkulturelle Zusammenarbeit schon im Vorfeld beginnt. "Man muss bei einem Forschungsverbund genau wissen, wer welche Kompetenzen mitbringt und wie demnach die Aufgabengebiete verteilt werden." Die Sprecher des TRR 61 haben sich darüber vor dem Start viele Gedanken gemacht. "Es ist wie ein Puzzle", beschreibt Jens Leker den Prozess. "Schwierig wird es immer nur, wenn sich zwei Teams auf dasselbe Thema spezialisieren." Das Puzzle sei beim TRR 61 aber gut gelungen. Mittlerweile hat sich auch gezeigt, dass sich Deutsche und Chinesen in ihrer Arbeitsweise gut ergänzen. "Die Chinesen sind unheimlich motiviert, Daten zu produzieren. Die Deutschen kümmern sich lieber um die Interpretation und Auswertung", erklärt Steffen Kanzler.
Und kulturelle Unterschiede? "Die gibt es natürlich auch", sagt Steffen Kanzler. "Aber längst nicht so ausgeprägt, wie man vielleicht meint." Der größte Unterschied sei wohl, dass es für die Chinesen aufgrund anderer Hierarchiestrukturen nicht üblich sei, Zweifel öffentlich zu äußern. "Das empfinden Chinesen als unhöflich." Dieser Umstand hat auch bei der Erst-Evaluierung des Sonderforschungsbereiches durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zu Irritationen geführt. Eine Delegation der DFG ist dafür nach China geflogen. "Die haben vor Ort natürlich kein Blatt vor den Mund genommen, haben den Finger in die Wunde gelegt und deutliche Zweifel geäußert, wenn sie etwas für nicht machbar hielten", erinnert sich Prof. Leker. "Die Chinesen waren wohl ziemlich geschockt. Diesen sehr direkten Umgang miteinander kannten sie nicht."
Jens Leker hält es für sinnvoll, möglichst früh, also schon im Studium oder während der Promotion, internationale Erfahrungen zu sammeln. "Ich habe deshalb für meine Studenten ein Austauschprogramm mit der Universität Dalian in China aufgebaut", sagt Jens Leker. Diplomand Stephan von Delft hat dieses Angebot bereits genutzt und möchte diese Zeit nicht mehr missen. Der Aufenthalt in China hat ihm und Prof. Leker aber auch gezeigt, dass die deutschen Unis im Vergleich zu den chinesischen viel schlechter auf internationale Studierende eingestellt sind. "Wir hatten dort alles: zum Beispiel eine Studentenwohnung auf dem Campus mit hotelähnlichem Service, W-LAN vom ersten Tag an und zweisprachige Straßenschilder", erzählt Stephan von Delft. Etwas verlegen erinnert sich Prof. Leker dagegen an den Gegenbesuch der chinesischen Studenten in Münster. "Es war ein Akt, alle im selben Studentenwohnheim unterzubringen. Und dann gab es dort zunächst nicht mal W-LAN." Internationalität werde in China eben anders verstanden. "Die haben begriffen, dass man Internationalität auch dadurch erreichen kann, dass man sich die Leute ins eigene Land holt."
Alice Büsch